Die Frauen
hellen Licht erfüllt. Miriam senkte ihre Stimme zu einer verführerischen Tonlage. »Ich brauche ein Taxi«, sagte sie.
Der lebhafte, anarchische Wind fiel über sie her, als sie aus dem Taxi stieg: Das Cape bauschte sich, die Mütze wollte davonfliegen, all der Staub und der Abfall der schmutzigen Straßen und Gassen stürzte sich wie bei einem Hurrikan auf sie, so dass ihre Hauptsorge, als sie die Treppe zur Empfangshalle emporstieg, ihrem Haar galt.
Und ihrem Gesicht. Natürlich ihrem Gesicht. Sie würde zu spät kommen, kein Zweifel - sie war jetzt schon zu spät dran -, und nun musste sie auch noch die Damentoilette aufsuchen und die nötigen Korrekturen vornehmen. Mit klopfendem Herzen, außer Atem und nervös - jawohl, nervös - ging sie durch die Empfangshalle und suchte nach der Toilette, und als sie sie gefunden hatte, als sie die Tür aufstieß und in diesen warm beleuchteten Zufluchtsort trat, der um diese Zeit glücklicherweise menschenleer war, schloss sie sich sogleich in einer der Kabinen ein. In diesem Zustand durfte er sie nicht sehen: Ihre Nerven flatterten, als wäre sie ein Revuegirl von den Folies-Bergere, und um sich zu beruhigen, um die Dinge zu verlangsamen und sich mit jener kultivierten Pariser Lässigkeit zu versehen, die ihn gewiss in Bann schlagen würde, holte sie die Spritze aus ihrer Tasche hervor.
Danach, als sie wieder ganz Herrin ihrer selbst war, kontrollierte sie im Spiegel Gesicht und Frisur. Mit einer Hand, so ruhig wie die eines Chirurgen, trug sie den Lippenstift auf, strich über den chartreusegrünen Samt und zupfte am Ausschnitt, damit der Stoff glatt anlag, legte wieder das Cape um und frischte das Parfüm auf. Einen langen Augenblick musterte sie sich im Spiegel aus verschiedenen Blickwinkeln, selbst als zwei andere Frauen - Matronen in mittleren Jahren {5} , die nicht die leiseste Ahnung von Stil oder Haltung hatten - durch die Tür traten und sich schnatternd über die Affären irgendeines Büromädchens unterhielten. Sie ignorierte die beiden - Sollen sie doch gaffen, sollen sie doch ein einziges Mal in ihrem erbärmlichen Leben Stil sehen, wirklichen Stil - und überprüfte noch einmal ihr Äußeres. Befriedigt trat sie hinaus in die Empfangshalle und ging zum Aufzug, wo ihr zwei Männer in hervorragend geschneiderten Anzügen mit bewundernden, schmachtenden Blicken den Vortritt ließen und sie dem Liftboy das Stockwerk nannte, in dem sie erwartet wurde. Der tat sein Bestes, starr geradeaus zu sehen.
* Miriam war damals fünfundvierzig. Es ist vielleicht von Interesse, dass Olgivanna zu diesem Zeitpunkt ein fünfzehnjähriges Schulmädchen war, das mit seiner Schwester in Tiflis lebte. Hinzenberg und Gurdjieff waren noch nicht einmal an ihrem Horizont aufgetaucht. Ich stelle mir vor, dass sie in diesem Augenblick - in Georgien war es drei Uhr morgens - fest schlafend in ihrem Bett lag, das Haar auf dem Kissen ausgebreitet, den Kopf voller jungmädchenhafter Träume.
Sie wurde von einem jungen Assistenten begrüßt - die Räumlichkeiten waren mit orientalischen Kunstwerken, zwei Naturgeister darstellenden Skulpturen von Iannelli und detaillierten Plänen und Modellen dekoriert, die Beleuchtung war raffiniert, und alles verströmte eine Atmosphäre von Geschmack und Kultiviertheit - und sodann in einen kurzen Korridor geführt, durch den man zum Studio gelangte. Dort sah sie einen kleinen, untersetzten älteren Mann mit riesigem Kopf, der durch eine Tür verschwand.
Der Assistent bat sie ins Studio und bot ihr einen Sessel mit hoher Lehne an. Es war kein gewöhnlicher Sessel, und mit der Wucht einer Offenbarung kam ihr die Erkenntnis: Dies war ein Frank-Lloyd-Wright-Sessel. Sie saß in einem Frank-Lloyd Wright-Sessel, einem Meisterwerk, entworfen vom Meister persönlich! Hier war ein Genie am Werk, und es kam zum Ausdruck in der Formgebung und der Oberflächenstruktur des Holzes und in einem Entwurf, der den horizontalen Linien des Raums eine kontrapunktische Vertikalität entgegensetzte. Im Dekor, in der Gestaltung der Wände, in den Teppichen, den Bildern. Es war, als hätte man sie in den Salon von Des Esseintes persönlich eingelassen.
Der Assistent - er wirkte wie ein Messdiener, hatte gebeugte Schultern, gespitzte Lippen und maulwurffarbenes Haar, das ihm in die Stirn hing - hatte den Sessel für sie zurechtgerückt, als vollzöge er eine heilige Handlung. Er wollte ihr das Cape abnehmen, doch sie lehnte ab. Sie wollte Mr. Frank Lloyd Wright
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