Die Frauen
so tiefen Leidenschaft gewärmt, geheilt und getröstet hätte, dass er die ganze Tragödie, die ganze Zerstörung für immer überwunden hätte. Doch nein, noch nicht, noch nicht:
Dieser Augenblick war zu köstlich. Sie rutschte vor, bis sie nur noch auf der Sesselkante saß, ihre Hände waren in Bewegung, und ihre Augen sprachen eine eigene Sprache. »Aber hören Sie«, sagte sie, »hören Sie, was Gérard de Nerval sagt, hören Sie einfach zu: >Ich geh in Finsternis ... verwitwet ... ohne Trost, / Der Prinz von Aquitaine in dem zerstörten Turm, / Mein Stern ist tot ...<«
Ihre Augen schwammen in Tränen. Sie konnte nicht weitersprechen. Wenn sie in diesem Augenblick auf die Höhepunkte ihres Lebens zurückgeblickt hätte, auf all die Stunden der Intensität oder Leidenschaft, auf all die Auseinandersetzungen, die inneren Tumulte, die transzendentalen Höhenflüge reiner spiritueller Gnade, so wären sie alle nichts gewesen im Vergleich zu dem, was sie in den kostbaren Minuten, seit sie durch diese Tür getreten war, empfand. Es nahm ihr den Atem. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. »Es tut mir leid«, keuchte sie. »Vergeben Sie mir. Ich bin nur ... es ist nur so, dass ich so ... tief ... berührt bin ... «
Und dann stand er neben ihr und bot ihr sein leicht parfümiertes Taschentuch aus feinstem Batist an, und sie nahm es und tupfte sich die Augen. »Hier«, sagte sie und griff impulsiv nach dem Büchlein, das sie ihm mitgebracht hatte, »hier, nehmen Sie das als ein kleines tröstendes Geschenk von mir in schweren Zeiten - und nehmen Sie es sich zu Herzen. Die Schriften heilen - Jesus heilt. Ich weiß das. Ich habe es erfahren.«
Er machte ein verwirrtes Gesicht. Er war der Sohn eines Predigers, ein Neffe von Jenkin Lloyd Jones, der einer der großen Kanzelredner seiner Zeit gewesen war, und er zögerte? Er hatte Zweifel?
»Hier, nehmen Sie es«, sagte sie nochmals, und ihre Stimme war kaum mehr als eine Art Schluchzen, und sie musste sich zusammennehmen, sie musste ihre Fassung zurückgewinnen, sonst würde diese Stimmung verfliegen, und dieser ganze lichtdurchflutete Raum mit seiner Verheißung von Kunst und Hoffnung und Schönheit würde verschwinden wie eine Vision aus Tausendundeiner Nacht, und sie spürte seine Hand in ihrer, spürte, wie das Buch - Mary Baker Eddys wunderbare, ach so wunderbare Offenbarung - von ihrer in seine Hand ging.* »Sie werden geheilt werden«, flüsterte sie, und ihre Stimme war jetzt fester. »Glauben Sie mir, Sie werden geheilt.«
* Es handelte sich um das Werk Wissenschaft und Gesundheit. Miriam glaubte fest an das »heilkräftige System der Metaphysik« und das »spirituelle Heilen«, das die Autorin propagierte. Wrieto-San war nach meiner Einschätzung ein wenig pragmatischer.
Sie waren jetzt beide aufgestanden. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt, und seine Hand - seine Hand - strich gedankenverloren über das kurze, dichte, robuste Fell, das den Seehund einst vor der Kälte der Welt beschützt hatte. Es war perfekt. Es war außerordentlich. Und was sagte, was murmelte er ihr ins Ohr? »Gut, gut, alles wird gut. Es wird mir wieder gutgehen. Bestimmt. Und Ihnen, Sie gütige, schöne und spirituelle Frau, auch Ihnen wird es wieder gutgehen. Ich werde das Buch lesen. Ich werde es lesen, weil es von Ihnen ist.«
Sie sah zu ihm auf. Sie bebte. Ihre Stimme war ein Flüstern. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie einen herrlichen Kopf haben?«
Wieder machte er ein verwirrtes Gesicht.
Doch sie sprach weiter, und jetzt sprudelten die Worte aus ihr hervor. »Sie müssen für mich Modell sitzen, keine Widerrede, und obwohl ich lieber Hände mache - Hände interessieren mich besonders, Hände und Füße, aber lassen wir das -, werde ich eine Büste von Ihnen anfertigen, und sie wird herrlich sein, das Großartigste, was ich je geschaffen habe. Werden Sie mir Modell sitzen? Ja? Versprochen?«
Die folgenden zwei Wochen waren ein tourbillon aus Dinners, Tanzabenden, Museen, Kunstausstellungen und mit dem Automobil unternommenen Ausflügen zu den Häusern, die er gebaut hatte und auf die er so stolz war wie ein kleiner Junge auf sein erstes Bauklötzchenhaus. Er fuhr, ohne sich vorher anzukündigen, in die Zufahrt dieses oder jenes Anwesens, sprang wie ein Akrobat aus dem Wagen, um ihr die Tür zu öffnen, wartete ungeduldig, während sie Vorkehrungen gegen den Wind traf, und führte sie sodann mehrmals rund um das Haus, wobei er auf die kleinsten
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