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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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-, so dass er die Bedürfnisse und Gefühle anderer nur bedingt wahrnahm.
    Meine Vermutung ist, dass Mrs. Wright, die, wenn ich mir diesen Vergleich erlauben darf, wie eine große bunte Spinne permanent die Fäden ihres Netzes manipulierte, ihn auf das, was da direkt vor seiner Nase ablief, aufmerksam machte. Jedenfalls wurde Wes zu seinen Eltern nach Evansville, Indiana, verbannt, und Svetlana wurde nach Winnetka, Illinois, geschickt, wo sie der Familie des Konzertmeisters des Chicago Symphony Orchestra gegen musikalische Unterweisung den Haushalt führte. Die beiden sahen sich jedoch auch während dieser Zeit und heirateten zwei Jahre später, woraufhin Wrieto-San ihnen ein Friedensangebot machte und sie nach Taliesin zurückkehrten. Kurz darauf konnte Wes, der nach dem Tod seines Vaters dessen Vermögen geerbt hatte, Taliesin vor der erneut drohenden Zwangsvollstreckung wegen fortgesetzter Nichtbezahlung von Hypothek, Steuern und auflaufenden Gebühren bewahren. Überhaupt zeigte sich, dass er als Schwiegersohn ein wahrer Segen war, denn er ermöglichte es Wrieto-San, finanziell wieder auf die Beine zu kommen und im
    Laufe der Zeit einen Großteil des umliegenden Landes, darunter auch die Parzellen, auf denen Reiders Schweinefarm und Stuffy’s Tavern standen, zu Schleuderpreisen zu kaufen.
    Aber letztlich geht es hier um Daisy. Um Daisy und mich. Wir schlichen uns davon, wann immer es ging, gierten so sehr nach der Berührung unserer Körper, dass wir ein geradezu tollkühnes Liebesleben führten - die bereits erwähnten Stelldicheins in den Feldern und auf dem Romeo-und-Julia-Turm, die verstohlene Nutzung von Zimmern und Automobilen im Dunkel der Nacht -, das auch für uns den Rauswurf hätte bedeuten können, zudem bestand natürlich immer das Risiko einer Schwangerschaft.
    Die das Eingreifen ihrer Eltern, panische Telegramme an meinen Vater in Tokio, womöglich sogar unsere Verhaftung und gerichtliche Verfolgung wegen Unzucht, Rassenmischung und weiß der Himmel was sonst noch zur Folge gehabt hätte.
    Schimpf und Schande natürlich. Wrieto-Sans Zorn. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns möglichst unauffällig zu verhalten, dabei sehnten wir uns danach, einmal Zeit für uns allein zu haben, ohne Taliesin und die Wrights in loco parentis, und schließlich bot sich eine Gelegenheit. Wrieto-San und Mrs. Wright fuhren für eine Woche geschäftlich nach Chicago - es war im Hochsommer, in dem Jahr, nachdem Svet und Wes Taliesin verlassen hatten -, und Daisy und ich zählten atemlos sechzig Minuten ab, warfen einen Koffer in den Bearcat und machten uns ebenfalls auf den Weg in die Stadt.
    Wir hätten natürlich auch nach Milwaukee oder Madison fahren können, aber wir wollten das wahre Leben genießen, Jazz, eine abwechslungsreichere Kost, das Menschengewühl - es war völlig klar, dass es Chicago sein musste. Dort würde uns niemand erkennen, und wenn wir unsere Gefühle nicht zur Schau trugen, mussten wir nicht damit rechnen, dass uns irgendwer zur Kenntnis nahm - oder sich daran stieß, was wir als Paar verkörperten. Man konnte mich für einen ausländischen Austauschstudenten halten (was ich in gewissem Sinne ja auch war) und Daisy für die Tochter der Familie, die mich unterstützte (was sie in gewissem Sinne ja auch war), oder vielleicht für eine Barmherzige Schwester, eine Dolmetscherin für asiatische Sprachen, eine Fremdenführerin mit einer Schwäche für gutaussehende, kultivierte Japaner.
    »Ich will ein Bier - und einen Whiskey - in einer dieser Flüsterkneipen trinken, die Al Capone zusammengeschossen hat«, war das erste, was sie sagte, nachdem wir uns in unserem sehr bescheidenen Hotel angemeldet hatten - getrennt, jeder in einem eigenen Zimmer, obwohl es mir sehr gegen den Strich ging, nur um des äußeren Anscheins willen doppelt zu bezahlen. »Ich will die Löcher in den Wänden sehen. Ich will mit diesem Fingerchen hier« - sie hielt ihren Zeigefinger hoch - »um eins von diesen Löchern fahren. Einfach nur zum Spaß.«
    »Klar«, sagte ich, »das will ich auch. Ich könnte ein Gangster sein und du meine Gangsterbraut. Willst du meine Gangsterbraut sein?«
    Wir warteten gerade auf den Aufzug. Es war niemand in der Nähe. Ich beugte mich zu ihr und küsste sie, noch ehe sie dazu gekommen war, ihren Rock über einem Bein hochzuziehen, ihr imaginäres Strumpfband zu offenbaren und zu sagen: »Si, certo, ich werde Ihre Gangsterbraut sein, signore«, denn wir waren wie zwei spielende Kinder, und

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