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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sie haben Mr. Wright angedroht, ihn zu verklagen.«
    »Ihn zu verklagen? Wegen was denn? Weil wir uns lieben?« Ich schaute geistesabwesend zu, wie ein Mann in Latzhose und mit eingedelltem Hut schwungvoll durch die Tür trat. Die Sonne breitete Eigelb auf der Glasscheibe der Telefonzelle aus.
    Es war so heiß, dass ich mich fühlte wie eine heruntergebrannte Kerze. »Du bist zwanzig Jahre alt. Keiner kann uns aufhalten. Keiner.«
    Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung atmen. »Tadashi«, sagte sie schließlich, »du verstehst das nicht. Wir können uns nicht mehr sehen. Sie schicken mich nach London, zu meinem Onkel Peter und meiner Tante Margaret - ich werde an der Royal Academy künstlerische Gestaltung studieren. So ist es zumindest geplant.«
    »London?« Ich hatte eine Dickenssche Szenerie vor Augen: Daisy, die auf der Straße Streichhölzer verkaufte, zusammengekauert in einer Mansarde hockte. Meine Gedanken rasten. »Wann?« fragte ich, und jetzt bettelte ich, versuchte Zeit zu schinden, die Entfernung zwischen Taliesin und Pittsburgh auszurechnen, einer Stadt, in der ich noch nie gewesen war und von der ich nur eine sehr vage geographische Vorstellung hatte.
    »Übermorgen.«
    »Aber warum denn?« wollte ich wissen, doch ich kannte die Antwort schon, hatte sie auch damals, bei jenem Mädchen auf dem College, gekannt. Ich hatte sie bereits in dem Augenblick vorhergesehen, als Daisy und ich uns zum erstenmal begegnet waren.
    Japaner waren in diesem Land personae non gratae, den Issei war es allein wegen ihrer Rasse grundsätzlich verwehrt, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen, wohingegen Schweden, Deutsche, ja sogar Italiener und Griechen willkommen waren.
    »Liegt es daran, dass ich nicht weiß bin? Ist das der Grund?«
    Es dauerte lange, bis sie antwortete, und während dieser ganzen Zeit krachte, knackste und pfiff es orkanartig in der Leitung. Und als sie dann schließlich antwortete, war ihre Stimme so schwach, dass ich kaum merkte, dass sie sprach. Sie sagte: »Ja«, und genausogut hätte sie auch einen Kieselstein in den Ozean werfen können. »Ja«, sagte sie. »Ja.«
    Natürlich ist das alles schon sehr lange her, und mir ist klar, dass es für mein eigentliches Unterfangen, nämlich ein möglichst umfassendes Porträt von Wrieto-San zu entwerfen, von nachrangiger Bedeutung ist, außerdem will ich hier auch nicht auf dem Negativen herumreiten. Es sei nur soviel gesagt, dass ich in Taliesin blieb, zunächst grollend (und vielleicht hätte ich mich Wrieto-San und Daisys Vater und allen anderen tatsächlich widersetzen, durch die Nacht nach Pittsburgh fahren und Daisy so fest an mich drücken sollen, dass niemand uns je wieder hätte trennen können, aber ich fürchte, diese Art von demonstrativem Verhalten ist mir einfach fremd), dann, als die Wochen, Monate und Jahre verstrichen, mit Fügsamkeit und Demut. Im Laufe der Zeit kam ich zu einem immer tieferen Verständnis dessen, was es bedeutet, Schüler zu sein, und welche Opfer es erfordert, einemgroßen Meister zu dienen, und ich salbte meine Wunden mit dem Analgetikum der Arbeit.
    Deshalb möchte ich nun auch noch von etwas Erfreulicherem berichten, einer anderen Geschäftsreise, auf die Wrieto-San mich mitnahm. Es muss 1937 oder 38 gewesen sein - hier widersprechen sich meine Erinnerung und meine Aufzeichnungen von damals -, aber es war auf jeden Fall, bevor sich der tiefe Graben des Krieges zwischen uns auftat. Wrieto-San brauchte damals ein neues Automobil - oder, um genau zu sein, zwei neue Automobile. Wir zogen mittlerweile jedes Jahr in einer Karawane nach Taliesin West, was unsere Fahrzeuge ziemlich strapazierte, und das war die vordergründige Rechtfertigung für unsere Fahrt zu dem Autohändler in Chicago, doch wie ich bereits angedeutet habe, ging es Wrieto-San letztlich weniger um das, was nötig war, als um das, was er wollte. Er wollte das neueste Lincoln-Modell, den Lincoln Zephyr, und wenn Wrieto-San etwas wollte, dann bekam er es auch - jedesmal.
    Vermutlich nahm er mich als eine Art Kontrastfigur mit, ein fremdartiges Gesicht, das den Verkäufer überrumpeln sollte, aber das erkannte ich damals natürlich nicht - für mich war es schlicht eine Freude und Ehre, an seiner Seite zu sein, in welcher Funktion auch immer. Jedenfalls schritt er gewichtig in den Ausstellungsraum des Autohändlers, angetan mit seinem vollen Künstlerstaat samt wehender Senatoren-Krawatte, und klopfte mit seinem Stock auf die glänzenden

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