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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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voller Nägel, Bolzen und Holzschrauben, eine Dose mit vertrockneter Schuhcreme und ein Glas mit den Klauen eines Falken, das Ganze gesprenkelt mit Strohhalmen und Ratten- oder Mäusekot, der aussah wie schwarze Reiskörner -, hatte es gleich als etwas erkannt, das er brauchen würde. Er hatte es abgewischt und prüfend in der Hand gewogen, und es war genau richtig gewesen, das Werkzeug, das am meisten Ähnlichkeit mit einem Tomahawk hatte. Brodelle. Er dachte an Brodelle: Er würde ihm den Schädel spalten, wie die nackten Indianer es getan hätten, als dieses Land noch ihnen gehört hatte und ganze Schiffsladungen von Brodelles und ihren bleichgesichtigen Frauen gekommen waren, um es ihnen wegzunehmen und ihre großen gelben Häuser zu bauen und Mensch und Natur zu zerstören, bis es nur noch Hass, Not und Krankheit gab. Das Beil gehörte jetzt ihm. Er bewahrte es unter seinem Kopfkissen auf. Für einen Augenblick wie diesen.
    Als nächstes ging er in die Küche. Gertrude mit ihrem zugeschwollenen Auge und der verschorften Lippe sah ihn misstrauisch an und sagte, dass die Missis und ihre Kinder das Mittagessen auf der Veranda haben wollten, und sie gab bereits die Suppe auf die Teller, und das Aroma stieg ihm in die Nase, so dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief und er schlucken musste, und er dachte, wie recht sie doch hatten, dass sie ohne die anderen essen wollten. »Mach schnell, Frau«, sagte er, und dann standen die drei Schalen aus weißem Porzellan auf dem Silbertablett, das er auf der Plattform seiner gespreizten Finger emporhob, und die ganze Zeit stellte er sich vor, wie die drei weißen Gesichter - die Frauenbewegung und ihre blasse Brut - sich über die gute Bajan-Suppe neigen würden. Wie sie schlürfen und Bemerkungen über das Wetter machen würden. Über die Bücher, die sie lasen. Über Puppen und Pferde und die Gänse auf dem See und die Pfauen auf dem Dach, die aussahen wie Funken von gottgegebenem Feuer. Der Junge, der aussah wie eine Made. Und das Mädchen. Und sie. Raus! hatte sie gesagt. Raus hier! Sie sind entlassen.
    Er nahm sich zusammen, denn er musste hart sein, und jetzt kam das Schwerste, denn er musste auf die Veranda gehen und ihr gegenübertreten nach dem, was sie gesagt und getan hatte: Sie hatte sich eingemischt, sich in den Weg gestellt, ihre billigen Hurenansichten zum besten gegeben, obwohl niemand sie hören wollte, niemand sie brauchte oder darum gebeten hatte, es sei denn der Teufel, doch er balancierte das Tablett, ging durch den Korridor und über die Steinplatten, öffnete die Fliegentür zur Veranda und stellte die drei Schalen auf den Tisch, ohne auch nur tief Luft zu holen, und dann kehrte er in die Küche zurück, lud sechs weitere Schalen auf das Tablett und brachte sie in das kleine, enge Esszimmer mit dem großen Tisch und den Hummerfallenstühlen, und auch das war schwer, denn dort war Brodelle. Brodelle, der ihn einen verdammten Nigger-Hurensohn genannt hatte und ihn bei jeder Gelegenheit auslachte, so auch jetzt, als er die Schalen auf den Tisch stellte, ohne einen von ihnen anzusehen, und dann verließ er den Raum, um ein letztes Mal zur Herrin dieses Hauses zu gehen.
    Das Tablett würde er nicht brauchen, diesmal nicht. Er ließ es mit metallischem Scheppern auf die Steinplatten der Loggia fallen und griff nach dem einzigen Werkzeug, das er von nun an brauchen würde. Rasten seine Gedanken? Ja, sie rasten, allerdings nicht wie die eines Denkers oder Mathematikers oder Architekten im Rausch des kreativen Prozesses und auch nicht wie die eines Kaninchens, das der Fuchs an der Kehle gepackt hat, sondern distanziert wie bei einem Soldaten im Gefecht. Er nahm jede Einzelheit wahr, als wäre sie eigens für ihn hervorgehoben worden. Er sah die Fugen zwischen den Steinen und das Unkraut, das sich dazwischen breitmachte, sah den gelben Putz, der wie die rauhe Haut des Tieres wirkte, das dieses Haus war, er sah die mit Fliegengitter geschützte Veranda am Ende des Durchgangs und die drei reglosen Gestalten hinter dem dunklen Gitter, sah eine Hand, die sich hob wie eine Hand in einem Traum, oder einen Kopf, der nahezu unsichtbar war. Er hörte die Stimmen der Kinder, die Stimme der Frau: »Na, siehst du«, sagte sie, »das war doch nicht so schlimm, oder?« Und seine: »Doch, war es wohl.« Und sie: »Sie hat dir geschmeckt, John, gib es ruhig zu.«
    Und dann kam er durch die Tür, so schnell, dass er selbst überrascht war, und diesmal sah sie auf, diesmal sah sie

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