Die Frauen
gehts gut. Bitte, Ma’am, bitte, geben Sie Julian keine Schuld, weil die meiste Zeit weiß er gar nich, was er tut.«
»Er weiß nicht, was er tut?« Mamah war empört. Wie konnte diese Frau auch nur versuchen, ihren Mann in Schutz zu nehmen, wo sie doch selbst mit angesehen hatte, dass er sie so brutal getreten hatte wie ein Tier? »Er hat Sie geschlagen.«
»Nein, ich bin auf ner nassen Stelle ausgerutscht und hingefallen, weiter nichts.« Jetzt sah sie auf, sah Mamah vorsichtig an. Ihr Haar hatte sich gelöst und fiel in einer festen, gekrausten, in reinstem Schwarz glänzenden Masse über die eine Augenbraue. In ihrem Blick lag etwas Abgestumpftes, etwas, das von Leid in all seinen Formen und Wirkungen sprach, doch da war noch etwas anders, etwas Distanziertes und Berechnendes.
Es dauerte einen Augenblick, bis Mamah begriff, dass diese hübsche junge Frau, die es nur gut meinte, nicht von Angst vor ihrem Mann getrieben wurde, sondern von Angst vor ihr, der weißen Frau, die einfach in die Küche gekommen war, vor der Hausherrin, die mit einem Fingerschnippen Leute einstellen und entlassen konnte. Es war ein Schock. Sie hatte Frauen erlebt, die von ihren Männern geknechtet wurden und gezwungen waren, durch sie und in ihrem Schatten zu leben, als wären sie bloße Instrumente oder Werkzeuge, aber das hier war noch trauriger - es war das Traurigste, was man sich nur vorstellen konnte. »Sie wissen, dass ich Sie entlassen muss«, sagte sie. »Es tut mir leid.«
»Geben Sie ihm noch ne Schance. Er is ein guter Mann. Ham Sie selbs gesagt.«
Doch Mamah schüttelte den Kopf. Sie war überwältigt von Gefühlen, sie zitterte noch vor Angst und vor Wut, einer Wut, die sie dazu gebracht hatte, sich diesem widerwärtigen schwarzen Ungeheuer entgegenzustellen, diesem Gewalttäter, der seine Frau geschlagen hatte, als wäre sie nicht einmal ein Mensch, und der um ein Haar auch auf sie losgegangen wäre. Es war unmöglich, es war unerträglich, einen solchen Mann bei sich im Haus zu haben, als wäre es irgendein ausländischer Slum, ein Elendsviertel, in dem Dummheit und Fieber und alle möglichen Arten von Gewalt grassierten. »Es tut mir leid«, wiederholte sie. »Ich weiß, es ist nicht Ihre Schuld. Sie sind ganz bestimmt eine gute Frau, eine gute, pflichtbewusste junge Frau und eine erstklassige Köchin ... aber verstehen Sie nicht? Es ist einfach falsch. Falsch.«
Ihr wurde bewusst, dass sie noch immer den feuchten Lappen in der Hand hielt. Sie streckte ihn Gertrude mit einer insistierenden Handbewegung hin, bis diese einen Schritt auf sie zu tat und ihn nahm. Dann ging sie zur Tür und dachte dabei an Frank, denn Frank würde wissen, was zu tun war. Frank würde sich um diese Sache kümmern müssen, und es war ihr gleichgültig, wie hektisch es auf der Baustelle zuging oder wie dringend man ihn dort brauchte - er würde noch an diesem Nachmittag kommen müssen, mit dem nächsten Zug.
Solange er nicht da war, fühlte sie sich nicht sicher. Sie würde ihre Tasche nehmen und dasHaus verlassen, und Billy würde sie sofort zum Telegrafenbüro fahren. Das nahm sie sich vor, aber an der Tür blieb sie noch einmal stehen und sah zu Gertrude, die reglos inmitten des Durcheinanders stand, den tropfenden Lappen in der einen Hand, während sie mit der anderen geistesabwesend ihre Lippe und das getrocknete Blut betastete. »Sie haben zwei Wochen«, sagte sie. Und noch einmal: »Es tut mir leid.«
Zunächst wollte sie ins Studio gehen und Brodelle oder Herb Fritz bitten, Billy zu suchen, und sie machte sich auch tatsächlich auf den Weg, kehrte dann aber um und holte Tasche und Hut aus dem Schlafzimmer. Sie warf nur einen kurzen Blick in den Spiegel - sie war immer noch erregt, das Herz schlug ihr bis zum Hals, und es war keine Zeit zu verlieren -, und dann ging sie durch das Haus, an der Küche vorbei und durch die Loggia zum Studio. Herbert war da, über den Zeichentisch gebeugt, doch Brodelle war nirgends zu sehen.
»Tut mir leid, Sie zu stören, Herbert«, sagte sie und hörte die Erregung in ihrer Stimme, »aber haben Sie vielleicht Billy gesehen? Oder könnten Sie ihn vielleicht holen, bitte? Ich muss nach ... Es ist dringend.«
Um es Frank nachzutun, trug er eine lose gebundene schwarze Satinkrawatte und einen knöchellangen Kittel, obgleich es ein heißer Tag zu werden versprach. Er war tief in die Arbeit versunken und sah sie verwirrt an, als hätte er plötzlich die Sprache verloren. Er warf noch einen kurzen
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