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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie er sich aufraffte und zum Tor schlurfte, sahen zu, wie Billy Weston einen Schlüssel hervorzog, das Vorhängeschloss aufsperrte und das Tor öffnete, um ihn einzulassen, sahen zu, wie er sich die Zufahrt zum Haus hinaufschleppte, der müdeste Mensch auf Erden. Eine gewisse Enttäuschung machte sich breit - man hatte auf Dramatik gehofft, auf überkochende Emotionen, der Herr auf dem Hügel bloßgestellt und gedemütigt, Handschellen, Proteste, der Knall des Blitzpulvers, und nun dies, diese hängeschultrige, dickbeinige Gestalt, die in der Ferne verschwand, das Röhren der Frösche, die Sonne, die in den Baumwipfeln hing. Die Leute wurden unruhig. Eine Frau zog ein belegtes Brot hervor. Die Reporter steckten die Köpfe zusammen und rauchten, und die Farmer, die es gewohnt waren, sich gedulden zu müssen, kauerten sich auf den Boden und begannen eine leise Unterhaltung. Bald würden die Vögel sich zum Schlafen niederlassen, Fledermäuse wurden über das Wasser flitzen, und das ganze Land würde wie auf Knopfdruck in eine Art Koma sinken.
    Aber Miriam wollte nichts davon wissen. Ihre Schuhe waren ruiniert. Sie war von Moskitos gestochen worden - wurde sogar in diesem Moment gestochen. Sie war von weit her gekommen, hatte die Haftbefehle erwirkt, den Sheriff herbeizitiert, mehr Beschimpfungen und Demütigungen über sich ergehen lassen, als eine Frau in ihrem ganzen Leben auch nur eine Minute lang sollte ertragen müssen, und trotzdem war sie immer noch ausgesperrt! Im Handumdrehen stand sie wieder vor dem Tor, an dem ein Schild hing - KEINE BESUCHER -, und daran riss sie nun, bis die Schrauben nachgaben, und sie schmiss das Ding auf den Boden, um mit beiden Füßen darauf herumzutrampeln, als handelte es sich um eine Verkörperung von Frank. Das verfehlte seine Wirkung nicht, im Nu waren sie alle wieder auf den Beinen - dafür waren sie gekommen, und sie würde ihnen geben, was sie wollten. »Da haben Sie es!« schrie sie. »Haben Sie das gesehen? Der Sheriff darf durch dieses gottverdammte Tor gehen und ich nicht! Dabei bin ich die rechtmäßige Besitzerin dieses Anwesens, und damit auch der Tore! Ja, darf das denn wahr sein? Ist es mit diesem Land so weit gekommen?«
    Sie spürte, wie es in ihr brodelte, ein Gemenge aus Wut und Hass und Verzweiflung, dem sie sich ganz überließ, und nun gab es kein Zurück mehr. Das Schild lag zu ihren Füßen, und sie trat danach, bis es wegschlitterte, dann wirbelte sie jäh zu den Leuten herum, mit hervortretender Halsschlagader. »Sie«, keifte sie den nächstbesten Mann an, einen Farmer in Latzhose. »Schämen Sie sich denn nicht? Sie sollten sich alle schämen. Ist denn kein einziger echter Mann unter Ihnen? Keiner, der einer Dame in Not Beistand leisten würde gegen diese, diese -« doch da fiel ihr ein anderes Schild ins Auge, das eigentliche, in Glas gefasste Taliesin-Schild, und sie griff nach dem erstbesten Gegenstand, einem faustgroßen Stein, und schlug damit auf das Glas ein, bis es zerbrach und harte glitzernde Splitter niederregneten, woraufhin sie den Stein mit einer wilden Geste wegwarf.
    »Miriam! « rief jemand. »Hier, Miriam - ein Foto bitte!«
    Sie hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen, das Haus verwüstet und in Asche gelegt. Der Boden warf sich ihr entgegen, der Himmel brach über ihr zusammen. Was war das? Ein Stock. Sie hatte einen Stock in der Hand - Miriam, ein Bild! -, der Fotograf stellte sein Stativ für den Blitz auf, Wallace eilte ihm zu Hilfe, die Farmerfrauen glotzten, Myra schwoll immer mehr an, gleich würde sie platzen wie eine Seifenblase, und genau in diesem Moment, als Miriam, den Stock hoch über den Kopf erhoben, in der Pose der Rächerin, der Heldin dastand, beseelt von der Kraft der Jagdgöttin Diana, Königin Elisabeths und jeder anderen Frau, die sich je gegen die Tyrannei der Männer zur Wehr gesetzt hatte, genau in diesem Moment sprangen Billy Weston und seine Lakaien mit einer Segeltuchplane vor sie, und der Blitz blitzte ins Leere.
    »Ja«, sagte sie, »genau. Ich bin mir sicher, dass er die ganze Zeit da oben gesessen und sich ins Fäustchen gelacht hat. Das ist das wahrhaft Beleidigende an der ganzen Sache - die Vorstellung, dass er da oben sitzt und denkt, er hat mich zum Narren gehalten, wirklich, Leora, ich habe mich mein Lebtag nicht so gedemütigt gefühlt.«
    Auf dem Tisch standen Blumen, zwei Dutzend langstielige Rosen in einem ans Violette grenzenden Rot, einer Farbe, die sie an das Herz Jesu erinnerte,

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