Die freien Amazonen - 3
hatte das Ridenow-Haus in Thendara ein einziges Mal betreten, und jetzt spulte ihr Gedächtnis die Eindrücke ab, die sie bei dieser Gelegenheit empfangen hatte. Wieder sah sie die getäfelten Wände mit den kunstvoll gewobenen Behängen vor sich, die Schar der Kinderfrauen und Hausmädchen, die sich um Donal drängten. Die Freie Amazone, die ihn hergebracht hatte, maßen sie mit verächtlichen Blicken. Und -
ja, da war ein Mädchen von ungefähr zehn Jahren gewesen, die das alles mit großen grauen Augen beobachtete.
»Verzeiht mir«, sagte Caitrin leise. »Ich erinnere mich jetzt an Euch, aber ich habe Euren Namen nie erfahren.«
»Ich bin Kiera«, erklärte das Mädchen einfach, »Lord Edrics älteste Tochter. Als Donal zu uns kam … Ihr müsst mir glauben, dass jeder freundlich zu ihm war«, setzte sie hastig hinzu, »nur ist mein Vater so oft abwesend, und seit ihr letztes Kind gestorben ist, geht es meiner Mutter gesundheitlich nicht gut. Es waren viele Leute da, die sich um Donal kümmerten, aber niemand, der ihn so richtig lieb hatte, außer mir …« Die großen Augen wurden plötzlich feucht. Dann holte Kiera schnell Atem und blinzelte die Tränen weg.
»Und Ihr seid gekommen, um mir Euer Mitgefühl auszusprechen?«
Es kostete Caitrin Mühe, die Worte herauszubringen. »Ich danke Euch, Lady Kiera. Ich war schon - dankbar dafür, dass einer von euch sich die Mühe gemacht hat, mich zu benachrichtigen. Ich hatte nicht erwartet …« Caitrin schluckte und setzte von neuem an. »Wie ist es geschehen, meine Dame? Das hat man mir nicht erzählt.«
Kiera hatte sich zur Seite gewandt, so dass Caitrin ihr Gesicht nicht sehen konnte, Sie hielt ihre Hände über das Feuer. »Es hat in letzter Zeit viele merkwürdige Unfälle unter den Comyn gegeben - vielleicht habt Ihr davon gehört«, sagte sie beinahe entschuldigend. »Unfälle und Attentate.« Sie stieß die Worte hervor.
»Vater schickte mich und Donal nach Serrais in Sicherheit, solange er fern von Darkover weilte, und als wir dort waren, kam jemand mit einem Hubschrauber und raubte Donal …« Kiera hatte so schnell gesprochen, dass sie Luft holen musste. »Die Terraner entdeckten den Hubschrauber auf ihren Sensoren und schickten Flugzeuge zur Verfolgung aus. Da wandten sich die Entführer den Hellers zu. Wir vermuten, dass sie von einem Seitenwind erfasst wurden und abstürzten.«
Caitrin erschauerte. Wie schrecklich musste das für Donal gewesen sein, erst von fremden, brutalen Männern ergriffen zu werden, dann der schnelle Fall und vielleicht Flammen … »Mein armer Kleiner«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. »Was für ein furchtbarer Tod
…«
»Aber darum bin ich ja gekommen …«, sagte Kiera mit gepresster Stimme. »Ich glaube nicht, dass er tot ist. Auch wenn er nur mein Halbbruder ist, standen wir uns doch sehr nahe, Mestra Caitrin. Ich wusste es immer, wenn ihm etwas zustieß. Und seit dem Unfall habe ich ihn mehrmals gespürt, Vater ist immer noch fort, und meine Mutter - alle sagen, mein Kummer täusche mich. Aber warum sollte ich mir Donal in einem großen Wald bei pelzigen Wesen vorstellen?
Mestra, ich glaube, dass Donal noch am Leben ist!«
»Und du glaubst diesem Comyn-Mädchen?« So, wie Stelle es sagte, war es nicht ganz eine Frage.
Caitrin seufzte und rückte ihren Kopf bequemer an Stelles gut gepolsterter Schulter zurecht. Der blaue Mond Liriel schien durchs Fenster, und Caitrin sah das kleine, spöttische Lächeln auf Stelles Gesicht.
»Warum sollte Lady Kiera mich anlügen? Für sie mit ihrer Erziehung kann es nicht leicht gewesen sein, ins Gildenhaus zu kommen. Wenn sie laran hat, kann sie Donal gespürt haben - und sie ist alt genug, dass diese Gabe inzwischen voll entwickelt ist, nicht wahr?« Caitrin ließ die Frage in der Luft hängen. Stelle hatte sich erst zu einer darkovanischen Heilerin ausgebildet und dann Krankenpflege bei den Terranern gelernt. Sie würde es wissen.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und dann streichelte Stelle ihr über das Haar. »Ja … ausgeschlossen ist es nicht. Aber es ist eine so geringe Chance - Caitrin, ich möchte nicht, dass du von neuem verletzt wirst.«
»Von neuem!« Caitrin richtete sich auf den Unterarmen hoch und blickte auf Stelles Gesicht hinunter. »Glaubst du, es hat, seit ich davon erfuhr, jemals aufgehört wehzutun? Oh - das verstehst du natürlich nicht! Du hast Donal nicht unter dem Herzen getragen, du hast keine Schmerzen erlitten, um ihn auf die
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