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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Altersheim. Dann haben wir eine Privatpflegerin gefunden.
    – Ah, gut.
    Kauen, kauen. Unsere Blicke streunten über den Tisch.
    – Ich hab jetzt nur mehr wenig Kontakt zu meinen Eltern, sagte sie. Aber ich kümmer mich um den Hund meines Vaters.
    – Ah, das ist das Geräusch, das ich gehört habe?
    – Wahrscheinlich. Es ist eine
Sie
. Sie heißt Uljana.
    – Ach so. Und sie mag keine Fremden. Ist sie deshalb –
    – Ich hab sie nicht eingesperrt, Gott behüte, sagte Valerie und legte sich eine Hand auf die Brust. Aber es stimmt, sie verkriecht sich, wenn sie fremde Stimmen hört. Sie ist scheu und schreckhaft. Sie ist mir schon drei- oder viermal weggerannt, einfach so.
    – Hunde laufen einfach so davon?
    – Wenn sie Angst haben. Dem Vorbesitzer soll sie kurz vor seinem Tod weggelaufen sein, die haben deswegen einen Riesenwirbel gemacht, von wegen Prophetenhund und so. Also ist sie zu uns gekommen, zu meinem Vater, etwa ein Jahr. So richtig eingefunden hat sie sich allerdings nicht. Sie läuft eben manchmal weg und kommt dann irgendwann wieder, völlig zerzaust.
    – Komisches Tier.
    –
Armes
Tier, korrigierte Valerie. Beim Spazierengehen muss man aufpassen wie ein Schießhund. Vielleicht sucht sie ja meinen Vater, kann sein. Aber wie gesagt, ich hab nicht mehr wirklich viel Kontakt. Außerdem ist er ja kaum ansprechbar. Und er hat eine Pflegerin, die kommt aus China oder Vietnam oder was weiß ich. Ich bin mir sicher, dass sie sich noch mal um ihren Verstand plaudert. Blablabla, den ganzen Tag, quaquaquaqua. Kein Wunder, dass er nicht mehr richtig aufwacht. Bei dem Geplapperden ganzen Tag. Früher hat er für einen Architekten gearbeitet, einen ziemlichen Halsabschneider, der reihenweise Reihenhäuser – ha, wie das klingt, wie in einem Gedicht –
    – Reihenhäuser, wiederholte ich sinnloserweise.
    – Der einen Haufen Häuser verpatzt hat, zumindest die Statiker, die für ihn gearbeitet haben. Aber die letzten Korrekturen hat irgendwie immer mein Vater gemacht, ich kann mich nicht genau erinnern. Jedenfalls sind viele Häuser einfach nach einer Anzahl von Jahren kaputt gewesen, die Fundamente … was weiß ich. Dem war einfach alles egal, auch als mein Vater den Unfall gehabt hat. Ein korruptes Schwein.
    Sie stützte ihren hübschen Kopf auf ihre beiden Hände. Ihre Stirnfransen wuchsen zwischen ihren Fingern durch.
    – Ja, solche Schweine, sagte ich.
    – Die Hausbesitzer sind nach der Reihe mit Beschwerden und Klagen gekommen. Und rate, worauf er sich dann spezialisiert hat. Auf Kunst. Künstlerische Architektur, wo niemand drin wohnen muss.
    – Ah, typisch, sagte ich.
    – Typisch Mann, sagte Valerie. Alles immer unter den Tisch kehren. Wie mein erster Mann.
    – Du warst verheiratet?
    – Ja. Die Bissspur des Rings sieht man immer noch.
    Sie hielt mir ihren Ringfinger hin. Die Geste war so sexy, dass ich einen Ständer bekam.
    – Willst du darüber reden?, fragte ich im Tonfall eines besorgten Therapeuten.
    Wir lachten. Valerie hielt sich dabei ihr Schlüsselbein.
    – Na ja, er war mir untreu, meist direkt vor meiner Nase. Und dann hat er alles auf einmal erzählt, in einerlangen, überflüssigen Beichte, und hat gedacht, er macht so alles wieder gut.
    – Typisch.
    – Ich habe, sagte sie und maß mit der Hand einen Teil der Länge des Tisches ab, ich habe gewissermaßen ein General-Update meiner gesamten Vergangenheit bekommen.
    Ihre Hand wanderte weiter, maß Vergangenheit ab, bis ans Ende der Tischplatte und darüber hinaus.
    – Es ist immer dasselbe. Wenn eine Ehe den Eisberg rammt, dann geht sie ziemlich schnell unter, sagte sie. Und man merkt erst hinterher, dass die Vergangenheit aus einer ununterbrochenen Kette von Fehlentscheidungen besteht.
    – Und wann hast du’s gemerkt?
    – Was gemerkt?
    – Na ja, dass er … nicht der Richtige war?
    – Natürlich bei der Hochzeit. Nur ist man da in der Regel zu feig, um es zu bemerken oder zu sagen.
    – Am Tag der Hochzeit?
    – Genauer gesagt beim Anstoßen mit den Sektgläsern, ja. An sich etwas Harmloses. Aber wir Dummköpfe haben dabei unsere Hände so ungeschickt gehalten, dass nur die frisch angesteckten Ringe zusammenstießen. Mit diesem trockenen, kalten
Kl’k
. Das kann einem wirklich den ganzen Appetit verderben.
    – Die Eheringe?
    – Ja. Allerdings habe ich den Verdacht, dass ich mir das jetzt alles nur einbilde. Im Nachhinein erscheint einem immer alles bedeutungsvoller. Ich war betrunken an dem Tag.
    – Und nach der

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