Die Freundin meines Sohnes
Interessantes in letzter Zeit in der Praxis?«
»Reden wir lieber über was anderes.«
»Ja, oder?« Er schaute in seine Champagnerflöte.
»Mal überlegen … die Praxis, ja. Heute ist eine junge Frau dagewesen, Roseanne Craig – kennst du sie? Arnie Craigs Tochter? Sie war schon mehrmals da, hat über Unpässlichkeit geklagt, Gewichtsschwankungen, Amenorrhö, Essensgelüste …«
»Ist sie schwanger?«
»Sie schwört, nein, aber ich hätte sie vermutlich doch einen Test machen lassen sollen.«
»Sie ist schwanger.«
»Sie sagte, dann müsste es eine jungfräuliche Empfängnis gewesen sein, und ich bilde mir ein, sie weiß, wann sie das letzte Mal Sex hatte.«
»Sie ist schwanger.«
»Okay, in Ordnung, nehmen wir kurz mal an, sie ist es nicht, nur für diese Unterhaltung. Wir haben vor sechs Wochen ein Auto bei ihr gekauft, Elaines Jeep. Da ist sie mir zumindest nicht wie schwanger vorgekommen.«
»Sie ist Autoverkäuferin?«
»Sie arbeitet für ihren Vater«, sagte ich. »Vor ungefähr einem Jahr kam sie zu mir: Sie klagt über Depression, Gewichtsverlust – sie weiß gar nicht recht, warum sie da ist, ihr Vater wollte, dass sie kommt.«
»Okay.«
»Dann erzählt sie mir eine Geschichte. Ihr Freund hat sie verlassen, und jetzt hängt sie wieder hier in New Jersey fest, und dabei hatte sie gedacht, sie würde ihr Leben in Kalifornien verbringen und eine Buchhandlung eröffnen.«
»Ein schwerer Schlag.«
»Ich zu ihr, sie brauche einen Psychiater, und sie zu mir, sie mache eine Reflexzonenbehandlung.« Joe und ich sehen uns kopfschüttelnd an. »Dann kaufen wir den Jeep bei ihr, und sie sieht toll auf. Aber heute kommt sie rein und ist total niedergeschlagen. Ich mag diese Roseanne. Sie hat etwas sehr Gewinnendes an sich.«
»Wird sie zu jemandem gehen?«
»Ich hab ihr geraten, zu April Frank am Round Hill zu gehen.«
»Könnte es was anderes sein?«, fragte Joe. »Keine Depression, vielleicht eine Autoimmunkrankheit? Was Endokrinologisches?«
»Du meinst wirklich Schilddrüse?«
»Ich weiß nicht«, sagte er sinnend. »Ein Hashimoto-Syndrom kann sich so ausprägen. Vor ein paar Jahren hatte ich mal eine Patientin mit Morbus Addison. Gemütsschwankungen, seltsame Essensgelüste, Übelkeit.«
»Joe, seit ich die Praxis betreibe, habe ich vielleicht zwei Addison-Fälle gesehen. Kein Mensch hat Addison. Und von Benommenheit oder geschwollenen Gelenken war bei ihr nicht die Rede.«
»Ja, es aber kann nicht schaden, es auszuschließen.« Der gute Joe, er war ein hervorragender Arzt, allerdings einer von der Sorte, die auf alles testen, selbst wenn etwas aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeit zu vernachlässigen war. Er zog sogar auszehrende Tropenkrankheiten bei Frauen in Erwägung, die über den County Bergen noch nie hinausgekommen waren. Das war einer der Gründe, warum ich nur selten mit ihm fachsimpelte, ich ging diagnostisch lieber andere Wege und hielt mich an meinen Verstand und an meine Beobachtungsgabe, statt teure und überflüssige Tests durchzuführen.
»Ich hab ihr gesagt, ich würde versuchen, ihr am Montag einen Termin bei April zu besorgen«, sagte ich. »Mal sehen,was sie davon hält, ob sie meint, es wäre eine Depression oder etwas anderes.«
»Schon recht«, sagte Joe. »Du solltest sie vielleicht trotzdem anrufen und sie für ein paar Bluttests bestellen. Oder sie zu einem Endokrinologen schicken.« Dann ging er in die Küche, die Champagnerflasche holen. Ich fragte mich, was seine Patienten wohl dachten, wenn er automatisch immer den schlimmsten Fall annahm (Schwangerschaft, Schilddrüse, Morbus Addison). Joe war Geburtshelfer für Risikoschwangerschaften, ein komplizierter Spezialbereich, bei dem unendliche Sorgfalt gefragt war; aus irgendeinem Grund hatte er es schon immer wichtiger gefunden, Kinder mit erhöhtem Sterberisiko zur Welt zu bringen als solche, die mit Sicherheit leben würden. Sein Ding waren einfach die schwierigen Fälle: Je schlechter die Chancen, desto mehr hängte er sich rein.
Wir konzentrierten uns wieder auf den Grill, starrten auf das Gemüse und ließen uns vom Feuer die Gesichter wärmen. Die Gemüsescheiben waren perfekt gegrillt, leicht dunkel an den Rändern.
»Hast du schon mal daran gedacht, zur Jagd zu gehen, Pete?«
»Was?«
»Na ja, einen Hirsch jagen oder so was, ihn dann enthäuten und abhängen lassen und braten.«
Ich musste an Roseanne denken, wenn sie am Saranac Lake einen Fisch ausnahm. »Kein einziges Mal in meinem ganzen
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