Die Freundin meines Sohnes
aussah. Er war dürr, hatte Sommersprossen, einen stark ausgeprägten Adamsapfel und dunkle Augen, die ein bisschen zu eng standen. Mir war schleierhaft, womit er das Mädchen für sich eingenommen hatte, es hatte wohl mit der einträglichen Zukunft zu tun, die ihm sicher war.
»Dr. Pete«, sagte Neal – alle Stern-Kinder sagten Dr. Pete zu mir –, nahm den Arm von seiner Freundin und gab mir die Hand. »Das ist Amy.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Amy. Frohes neues Jahr.«
Amy sah mich mit großen Augen an. »Ah, ja«, sagte sie wie eine Sphinx und richtete ihren winterlichen Blick wieder auf Neal. »Ich bin total durchgefroren. Ich geh rein.«
»Weiber«, sagte Neal, nachdem sie weit genug von uns weg war. »Es geht nicht ohne, aber mit geht’s auch nicht, stimmt’s?« Er lachte freudlos, und ich wusste, wenn Alec draußen bei uns gewesen wäre, hätte er Neal bestimmt gleich eins auf die Sommersprossen gegeben. Aber ich war ja erwachsen und machte also weiter Konversation.
»Deine Schwester ist wieder da, hab ich gehört?«
Neal malte mit dem Zeigefinger einen Kreis um sein Ohr zum Zeichen für »verrückt« und trank einen großen Schluck heiße Schokolade. »Vorige Woche ist sie hier mit ihrem Rucksack aufgekreuzt und hat ausgesehen, als hätte sie seit Tagen nicht geduscht. Es war kurz vor zehn, ich war gerade von der Uni nach Hause gekommen, Amy war im Gästezimmer. Amy ist aus Hongkong, aber so weit wollte sie für die Ferien nicht fahren. Deshalb ist sie hier geblieben, bei mir. Meine Eltern natürlich: nicht in deinem Zimmer, kommt nicht in Frage.« Neal machte noch einmal das Verrücktzeichen, und ich musste an Mrs. Stern denken, die mich und Elaine in Philadelphia auch immer getrennt einquartiert hatte.
»Ich also zu ihr: Was machst du hier? Und sie: Ich wohne auch hier, oder? Ich bin hier, weil ich hier bin. Lass mich rein. Was sollte ich da sagen?« Er lachte. »Seit elf Jahren ist sie nicht mehr hier gewesen. Wohnt sie dann noch hier?«
»Ist eine Weile her, dass ihr zwei Zeit miteinander verbracht habt.«
»Das letzte Mal, als ich noch klein war«, sagte Neal. »Eigentlich kenne ich sie doch gar nicht – ich weiß bloß von ihr.«
Joe, das merkte ich, hörte mit, auch wenn er Interesse an Stu Hurdys Bericht über den Koiteich heuchelte, den der sich gerade anlegte. Joe sah Stu an, nickte ab und zu, seine Weihnachtsmannmütze neigte sich aber in unsere Richtung, während er an dem wodkagetränkten Ende seines Pfefferminzstäbchens lutschte. Über Laura sprach Joe so gut wie nie mehr, er wollte sie wohl schützen. Es kam mir plötzlich gemein vor, dass ich bei einem Shmuck wie Neal von ihr angefangen hatte.
»Ich mein ja bloß, Laura ist weg, als ich in der dritten Klasse war, wir sind also nicht gerade beste Freunde. Ich hab sie einmal im Jahr gesehen, wenn überhaupt.«
»Jedenfalls …«, versuchte ich abzulenken.
»Und wie sie lebt, das ist doch wirklich absurd. Macht einen auf Rebellin. Wissen Sie noch, als sie auf dieser Insel bei Puerto Rico gelebt hat, Dreadlocks bis zum Hintern und sich mit Schmuck ihren ›Lebensunterhalt‹ verdient hat?« Neal verdeutlichte die Anführungszeichen mit der entsprechenden Handbewegung. »Als wir in Florida waren, kam sie rüber, um meine Eltern um zehn Riesen anzuhauen. Die die ihr natürlich gegeben haben, kein Problem. Denn Gott bewahre, sie verliert den Verstand und stellt irgendeinen Blödsinn an, und sie müssen noch mehr für Anwälte löhnen.«
Joe lauschte immer noch Stu, der ausdruckslos vom Überwintern der Kois erzählte. Er sah herüber und warf Neal einen wütenden Blick zu. Die Florida-Erpressung, ich erinnerte mich daran, über sieben Jahre war das jetzt her – ein Familienausflug nach Miami, zur Feier der Bar Mizwa irgendeines Anverwandten, da war plötzlich aus heiterem Himmel Laura aufgetaucht, wie eine Flickenpuppe in handgefertigte Kleider gehüllt. Sie lebte mit einer Freundin, die kein Englisch sprach, in einem Wohnwagen auf der Krabbeninsel, engagierte sichdort für die Beendigung der amerikanischen Militärpräsenz und, ja, fertigte Schmuck aus Kaurimuscheln. Sie brauchte Geld für eine Operation, der sich ihre Mitbewohnerin unterziehen musste. Laura war anderthalb Jahre zuvor aus der Psychiatrie entlassen worden. Joe und Laura schrieben ihr einen Scheck aus unter der Bedingung, dass sie zum Friseur ging, sich ein Kleid kaufte und zu der Bar Mizwa mitkam. Sie standen gerade an der Rezeption des Marriott und
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