Die Freundin meines Sohnes
checkten Laura ein, da machte die sich aus dem Staub.
»Und jetzt sollen wir sie mit offenen Armen aufnehmen, obwohl sie zehn Jahre lang uns gegenüber so getan hat, als wären wir eine Bank oder Fremde.«
»Neal, Schluss jetzt«, sagte Joe mitten in Stus Rede hinein. »Das reicht.« Joes Stimme klang sanft, aber seine Miene war so zornig, wie ich es nur selten sah.
»Was denn, Dad. Auch wenn du sie so toll findest, heißt das noch lange nicht …«
»Neal«, sagte Joe noch einmal, mehr nicht, und nun entsprach sein Ton seiner Miene, und Neal war klug genug, den Mund zu halten. Das Thema Laura machte uns Eltern alle nervös. Joe wandte sich wieder Stu zu. Neal sah mich an und verdrehte die Augen.
»Na, wie auch immer …«, sagte er.
»Wie auch immer.«
»Ich glaub, ich geh mal rein und such Amy.« Nur geringfügig lauter: »Und keine Sorge, Stalin, ich denk an die Zensoren.« Hatte Neal seinen Vater wirklich gerade Stalin genannt? Ich sah ihm nach, wie er in die Küche trottete, den geschorenen Kopf spöttisch zur Seite geneigt.
»Dieses Kind«, sagte Joe. Seine Züge entspannten sich, doch die Augen blickten immer noch zornig. Er presste sich ein kurzes Lachen ab. »Lässt einfach keine Gelegenheit aus, zu sagen, was er denkt.«
»Eine starke Persönlichkeit«, sagte ich.
Joe seufzte tief. »So kann man es auch sagen.«
»Jedenfalls, Joe, sollte man ein Auge auf Waschbären haben, das ist wichtig.« Stu Hardy war nicht zu bremsen. »Waschbären fischen genau wie Bären, hast du dir mal Naturfilme angesehen? Die stecken die Tatzen in den Teich und schaufeln sie einfach so raus. Wirklich beeindruckend. Aber es gibt offenbar Pflanzen, die Waschbären nicht mögen, die setzt man rund um den Teich, sie schützen die Fische davor …«
Joe sah mich ausdruckslos an, ich neigte meinen gedachten Weihnachtsmannhut in seine Richtung und ging in die Küche, um Ausschau nach meiner Frau oder meinem Kind zu halten. Mir schlug der Duft von Kaminfeuer und Eierpunsch entgegen, aber es lag noch was in der Luft – der so unbestimmte wie durchdringende Geruch verbissenen Strebens, der Koiteiche anderer Menschen. Round Hill ist nicht New Canaan und nicht mal Bernardsville, hier leben größtenteils Neureiche, mehr Juden als in anderen Vorstädten mit hoher Kamindichte, auch mehr Koreaner und Italiener. Wir haben hier mehr Ärzte als Promis, mehr Anwälte als gleichgültige Investoren und einen Mischmasch von New Yorker Außenbezirks-Akzenten. Unsere Kinder, die schicke Colleges besuchen und Maler werden wollen (oder Bühnenbildner, Verhaltensforscher, Dichter), sind nicht wie wir, wir waren am City College oder am Queens College oder am Pitt – und zwar dank eines Stipendiums. Für sie sind Dinge bereits selbstverständlich, die für uns nie selbstverständlich sein werden, und sie reden so beiläufig über Tennis und die Tate Modern, dass wir insgeheim überglücklich sind. Uns hingegen, uns gefällt es hier in Round Hill, weil es nur eine knappe halbe Stunde von der alten Heimat entfernt ist und weil wir, als Juden, immer Angst haben, verjagt zu werden – von hier sind wir schnell wieder in der Bronx, in Brooklyn oder ich in meinem kleinen Yonkers.
»Dr. Dizinoff! Eben haben wir von Ihnen gesprochen!« Shelly Sherman und die schöne Christina standen neben dem Topf mit der heißen Schokolade, Ashley Sherman, inzwischen fast vierzehn, drängte sich schüchtern an ihre Mutter. Nach vielversprechenden Anfängen in zarter Kindheit wurde Ashley mit den Jahren äußerlich immer mehr eine Kopie des Vaters: dasselbe krisselige braune Haar, dieselben eulenhaften Augen, dieselbe gebogene Aschkenasi-Nase. Ich nahm an, dass sie genauso intelligent war wie ihr Vater, sie war amtierende Schachkönigin unserer Stadt in der Jugendliga, und der Round Hill Robin hatte schon mehrmals über sie berichtet.
»Und, was haben Sie gesagt?« Wenn ich hätte antworten müssen, hätte ich gemurmelt: Oh, Mist. »Nur Gutes?«
»Sie sind doch Nets-Fan, oder? Ist das Ihre Mannschaft?«
»Ja«, sagte ich und gab Shelly und Christina einen Neujahrskuss auf die Wange.
»Oh, gut«, sagte Christina und drehte das Gesicht in meine Richtung. »Mein Freund Harvey hat nämlich Dauerkarten, aber immer soviel zu tun, dass er sie nie nutzt. Vielleicht möchten Sie mal welche.«
»Warum nicht?«
»Ich will ja nicht angeben«, flüsterte sie, »aber ich glaube, es sind sehr gute Plätze.«
Nach anderthalb Jahrzehnten im Nordosten hatte Christina immer noch
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