Die Freundin meines Sohnes
war damals so glücklich. In der Nacht schlief ich in Elaines Zimmer im Sessel, wie ich es in der Nacht von Alecs Geburt auch getan hatte, das Jackett zwischen Schulter und Gesicht geklemmt.
Und heute, sechs Jahre später, habe ich nichts mehr: keinen Sohn, keinen besten Freund, keine erstklassige Reputation. Keine glückliche Ehe mehr. Nicht einmal mehr eine Praxis in Round Hill, keine moderne Kunst mehr an den Wänden, keine Aeron-Stühle mehr in der Praxis, seit Vince und Janene mir vor drei Monaten zu verstehen gaben, es sei vielleicht Zeit, dass ich mir etwas Eigenes suchte.
Statt mit schwungvollem Bogen bei meinen vertrauten Untersuchungszimmern vorzufahren, klappere ich nach Bergentown in meine neue Praxis, ein Raum, der sich durch eine Trennwand in zwei Zimmer aufteilen lässt. Ich parke hinterMaschendrahtzaun auf einem Platz neben einem Kino. Meine Praxis liegt über einem philippinischen Restaurant, aus dem den ganzen Nachmittag die Gerüche von Knoblauch und Banane heraufziehen. Nach der Arbeit esse ich zu Abend, manchmal mit Mina, die – warum, will ich nicht ergründen – tapfer zu mir gehalten hat. Danach gehe ich jeden Abend ins Krankenhaus zur Visite. Anschließend nach Hause, die Treppe zum Atelier hinauf, wo ich lange aus dem Fenster starre, und anschließend ins Bett. Ich habe jetzt andere Patienten: ehrlich gesagt, weniger wohlhabende Patienten und mehr Schwarze, deren Sterberate nicht nur signifikant höher ist als die gleichaltriger Weißer, sondern die sich auch mit moralisch zweifelhaften Ärzten begnügen müssen.
Um die Sportanlagen des JCC mache ich einen großen Bogen.
Übrigens, meine Patienten mögen mich immer noch. Der größte Teil von ihnen hat das New York -Heft mit dem Ärzteranking nicht gelesen und kann deshalb nicht ermessen, wie tief ich gesunken bin. Ein paar Urgesteine sind mir aus Round Hill nach Bergentown gefolgt, ich schätze sie alle und behandle ihre Blasenentzündungen und ihre Halsentzündungen mit derselben Geduld und Aufmerksamkeit, wie ich das in meiner schickeren Praxis getan habe. Guten, lukrativeren Diagnosen jage ich nicht mehr nach. Ich überweise Patienten an die Spezialisten, die immer noch bereit sind, von mir überwiesene Patienten anzunehmen. Mit ihren rissigen Sonntags-Handtaschen in der Hand nicken meine Patientinnen mir knapp zu und eilen weiter.
Eine der merkwürdigen Wohltaten des vergangenen Jahres ist, dass ich wieder weiß, wie gern ich den Arztberuf ausübe. Versicherungsnöte, Papierkram und Datenschutz – das sind die Kümmernisse einer anderen Schicht und Wohngegend. Ich bin schon froh, dass ich überhaupt noch da bin. Wenn ichmeinen Patienten kostenlose Medikamentenproben gebe und sie fast weinen vor Dankbarkeit, weiß ich wieder, dass sogar einer wie ich in dieser traurigen Welt noch Gutes tun kann.
Als Elaine im Aufwachraum die Augen aufschlug, war das Erste, was sie sah, mein Gesicht, und war das Erste, was sie hörte, ich, der ich ihr sagte, dass ich sie liebe.
Als Alecs Verhalten sich im letzten Highschooljahr veränderte, führten wir seine Probleme anfangs auf den Krebs zurück. Ein frühes Trauma konnte nach Aussage des Psychotherapeuten Langzeitfolgen in der Adoleszenz haben, wir beide hatten uns während dieser Zeit große Sorgen um Elaine gemacht (so sollte es ja auch sein, oder? Sie war schließlich die Kranke) und dabei vielleicht nicht genug bedacht, wie Alec darauf reagierte, dass seine Mutter am Tode vorbeigeschrammt war. Wir hatten ihn nicht zur Therapie geschickt. Hatten ihn nicht bei der Selbsthilfegruppe angemeldet, die Dienstagsabends für Jugendliche am JCC angeboten wurde.
»Du solltest dir das wirklich überlegen, Pete«, hatte Phil mir in dem Ton, den er so meisterhaft beherrschte, eingeschärft. Elaine war seit einem Monat wieder zu Hause, die erste Hitzewelle des Sommers hatte gerade begonnen, und sie absolvierte ihre Chemo trotz der Nebenwirkungen gewissenhaft und mit Humor. Phil und Mimi waren zu Besuch gekommen und hatten kalte Platten und Kaffee von Zabar’s mitgebracht.
»Es geht doch nicht spurlos an Alec vorbei, dass er seine Mutter so krank erlebt! Sie hat keine Haare mehr. Das ist verdammt schwer für ein Kind.«
»Es geht nicht spurlos an Alec vorbei, dass seine Mutter krank ist?«, fragte ich. »Die einzige Person, um die ich mir hier Sorgen mache, ist Elaine. Alec wird das gut durchstehen, wenn sie es nur durchsteht, da bin ich ganz sicher.«
Wir saßen in der Küche, in dem einen Raum
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