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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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die Augen. Ja, zur Hölle mit Cirks Vergangenheit. Sie war keine Entschuldigung für das, was er ihr angetan hatte. Durch Tjaldas langen Bericht waren für eine Weile Vergangenheit und Gegenwart wieder ineinander verwoben worden, und sie hatte den Verlust ihrer Liebe erneut schmerzhaft gefühlt. Doch Inkens Gedanken waren jetzt wieder in der Realität angekommen, und dieser Mann hatte sie verletzt wie niemand zuvor in ihrem Leben. „Sollte Cirk jemals wiederkommen und in mein Herz wollen“, dachte Inken, „so werde ich auf das seine zielen und treffen!“ Es war diese Vorstellung, die ihr die innere Ruhe zurückbrachte.
    Doch Cirk hatte sich nicht einfach davongeschlichen, wie Inken glaubte, sondern war dabei, ein Opfer zu bringen. Ein Opfer, das völlig sinnlos war, denn zwei Tage, nachdem die beiden Handelsschiffe in See gestochen waren, starb Thomas Devon an den Folgen seiner schweren Operation. Zusammen mit seinem Nachlass gelangte auch der alles erklärende Brief, der Tjalda und vor allen Dingen Inken die Beweggründe für sein Handeln deutlich machen sollte, in die Hände seiner Schwester Lucia.
    * Anmerkung der Autorin: Cargo = Kaufmann und Supercargo = leitender Kaufmann

10. Schwarzes Gold aus China
    Kanton, Juli 1814
    … nach neun Monaten und neunzehn Tagen
    Gefangenschaft auf Meeren und Flüssen
    haben wir jetzt – Gott sei Dank –
    wieder festen Boden unter den Füßen .
    … Zusammen mit dem Hoppo1 kamen die
    Mandarinen * an Bord, um unser Schiff zu messen und die
    mitgebrachten Münzen zu wiegen .
    Der Kapitän empfing sie
    mit süßem spanischen Wein und Kuchen .
    (Jean François Michel, flçmischer Kaufmann)
In China
    Er hatte sich vorsichtshalber mitsamt dem Schiffsjungen ans Ruder geseilt. Schwarz wie die Nacht war es. Der Wind heulte, und Regentropfen peitschten ihnen ins Gesicht. Zwei Blitze durchzuckten gleichzeitig den Himmel und die Dünung nahm zu. Das Schiff hob und senkte sich. Cirk wurde voneiner unvorstellbaren Furcht ergriffen. So hatte er das Meer noch nie erlebt! Es war zu einem unberechenbaren, gefräßigen Ungeheuer geworden, das mit Macht über das Frachtschiff und dessen Besatzung herfiel .
    Die Männer um ihn herum schrien, was er aber nur aus den Bewegungen ihrer Lippen schließen konnte. Denn das Unwetter lärmte ohrenbetäubend, und dann, als seien der Schrecken noch nicht genug, sah Cirk, wie sich eine Riesenwelle vor ihnen auftürmte. Ein Ungetüm, eine Ausgeburt der Hölle, ein grün und grau gefärbter Höllenhund, der zum Todesschlag ausholte .
    Der Schiffsjunge griff entsetzt nach seiner Hand, doch der Sturm entriss sie ihm wieder. Cirk spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich, sein Körper schlaff und leblos wurde. So musste sich ein Gefangener fühlen, der zum Schafott geführt wurde, ein Mörder vor seinem Henker, ein Kranker vor dem Tod. Nur eines schien ihm gewiss: Er, nein, sie alle würden hier und jetzt sterben .
    Reflexartig duckte sich Cirk, als die Welle über Bord schlug und eine Ewigkeit über das Schiff hinwegbrandete. Cirk spürte, wie ihn kalte Finger in das nasse Grab zu ziehen versuchten. Er wehrte sich nicht, begehrte nicht mehr auf – nur das Seil gab nicht nach .
    Donnerschläge krachten ohrenbetäubend, und im Halbdunkel der Blitze leuchteten die Wellenkämme gespenstisch weiß. Cirk sah, wie sich die nächste Wasserwand vor ihnen auftürmte und …
    Ein Klopfen an der Tür ließ ihn hochfahren. Für einen Augenblick fragte er sich, warum der Boden unter seinen Füßen nicht schwankte. Dann glitt sein Blick über die weißen Wände und die rot und golden bemalten Einrichtungsgegenstände.Ein Lichtstrahl fiel durchs Fenster und warf ein helles Muster auf den Ebenholzboden. Es roch nach getrockneten Rosenblüten, die in Musselinsäckchen an den Bettpfosten herabhingen.
    „Sicherlich, um böse Nachtgeister zu verscheuchen“, dachte Cirk und sank erleichtert wieder auf sein Lager zurück. Er war nicht mehr auf See, sondern in China. Die Reise war gelungen! Der Sturm war nur ein Albtraum gewesen, der die gefahrvollste Situation auf ihrem Weg dorthin wiedergegeben hatte. Gleich zu Beginn der Fahrt waren sie in ein mörderisches Unwetter geraten, in dem er, was noch nie zuvor passiert war, die Kontrolle über das Schiff verloren hatte. Bis heute wusste er nicht zu sagen, wie es ihnen gelungen war, dieses Unwetter heil zu überstehen.
    Durch ein wiederholtes Klopfen an der Tür wurde Cirk aus seinen Gedanken gerissen. Das Geräusch von vorhin

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