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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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wenn ich mich nicht irre – genauso angeschaut wie du mich jetzt anschaust.“
    „Du bist grausam“, murmelte sie erstickt. Lucia griff nach ihrem Glas und stürzte den Whisky in einem Zug hinunter. Danach schenkte sie sich erneut ein und betrachtete die bronzefarbene Flüssigkeit im Glas. „Weißt du“ – sie maß Cirk mit einem Blick aus halb geschlossenen Augen –, „dabei sind wir heute Nacht ganz alleine in diesem Haus.“ Ihr Atem gingplötzlich wieder schneller. „Die Großeltern kommen erst morgen zurück, und Thomas schlägt sich wieder einmal die Nacht um die Ohren. Es überkommt ihn ab und zu wie ein Rausch, daran kann nicht einmal die Anwesenheit seines besten Freundes etwas ändern. Ich kenne ihn.“ Sie schien wieder neuen Mut zu fassen und fuhr sich mit der Zunge genüsslich über ihre Lippen. Ihre Augen lockten ihn, und ihre Worte kamen so leise, dass Cirk sie kaum verstand. „Warum kommst du nicht zu mir heute Nacht?“ Die Berührung ihrer Finger war so leicht wie eine Feder und zugleich unerhört aufreizend. „Es könnte so schön sein …“
    Mit einem Ruck drehte Cirk sich zu Lucia um. „Lucia, du bist eine unerhört attraktive Frau. Aber ich habe es dir bereits gesagt und wiederhole es noch einmal: Ich liebe dich nicht!“
    „Wer spricht denn von Liebe.“ Verächtlich kräuselte Lucia die Lippen. „Vergiss die Liebe! Vergiss, wer du bist und was du bist. Lass uns einfach nur Mann und Frau sein und der Einsamkeit entfliehen. Lass uns für eine Nacht Freude aneinander haben.“
    Trotz seiner ablehnenden Haltung spürte Cirk erneut Hitze in sich aufsteigen. Ihre Spannung übertrug sich auf ihn.
    „Ich bin frei und du bist frei.“ Lucias Stimme war lockend. „Wem würden wir schaden?“
    „Mein Herz ist nicht frei.“ Cirk hielt überrascht inne. Hatte er diese Worte wirklich gesprochen?
    Lucia blickte ihn für einen Augenblick wie erstarrt an. Dann trat ein höhnischer Ausdruck in ihre Augen.
    „Ach, das ist ja etwas ganz Neues! Wer ist sie?“ Ihre Stimme klang schrill. „Irgendeine ostfriesische Landpomeranze, deren Anblick dich etwa bis hierher nach England verfolgt? Was bist du doch für ein Narr, eine Gelegenheit wie diese auszuschlagen.Bist du überhaupt ein Mann, oder fließt Fischblut durch deine Adern?“
    Sie erhob sich mit einem Ruck und ging auf die Treppe zu. Auf halbem Wege drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Weißt du eigentlich, dass ich immer bekomme, was ich will? Und ich will dich!“ Zusammen mit einem eiskalten Lächeln warf sie ihm für einen Augenblick unter hochgezogenen Brauen solch einen unheilvollen Blick zu, dass selbst dem unversöhnlichsten und tapfersten Gegner der Mut gesunken wäre.
    Cirk versuchte der Kälte in ihren Augen mit Gleichmut zu begegnen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

4. Im Moor
Frühling 1812
    Öffentliche Anzeige, um einen Geflohenen aufzufordern, freiwillig zurückzukehren:
    E. E., Conscribirter der Classe 1812 ,
    welcher bei der letzten Losung Nr. 12 gezogen
    und sich nach seiner Aufforderung bei dem Appell nicht
    gestellt hat, wird hiermit von seinem alten Vater dringend
    aufgefordert, sich von Stund an wiederum freywillig einzustellen ,
    damit ich wie auch er selbst und auch sowohl die
    Commune von den unglücklichen Folgen verschonet werden.“
    (Westeraccum, H. E.)
Gefangen
    Inken straffte den schmerzenden Rücken, seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. An diesem Tag fiel ihr die Arbeit besonders schwer. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den großen Teig aus Mehl und Wasser, den sie gerade auf dem Tisch knetete.
    Es war der erste warme Frühlingstag des Jahres, und die Sonne lockte sie nach draußen. Ihr Blick fiel durch die geöffnetenFensterläden auf den Fehnkanal , der sich nicht allzu fern vom Haus dahinzog. Erneut hielt sie für einen Moment inne und schaute sehnsuchtsvoll auf das Wasser. Der Kanal schien so einladend, unendlich und geradeaus nach Osten zu ziehen. Das blinkende Wasser, die Enten mit ihren flaumigen Küken und der sattgrüne Ufersaum verzauberten sie. Ein Torfkahn mit windgeblähten braunen Segeln trieb vorbei. Inkens Augen folgten ihm, und unwillkürlich entfuhr ihr ein weiterer Seufzer. Wenn sie nur mitfahren und einfach davonsegeln könnte! Wenn sie nur fliehen könnte von hier! Irgendwohin, nur fort, einfach wegfahren, ohne Ziel, mit dem erleichterten Gefühl, allem entronnen zu sein.
    Doch Inken wusste, dass dies

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