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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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Tochter des Dolmetschers fürsie arbeiten. Es war eine große Ehre für die Familie.“ Sumi blickte beschämt zu Boden. „Eine Ehre, die diese unwürdige Frau beschmutzt hat. So sehen es die Chinesen jedenfalls. Frauen, die sich mit einem der ,großen behaarten Nasen‘, so nennen sie die Christen, einlassen, werden aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Man wird dadurch zu einem Schatten. Zu einem Menschen, der zwar noch lebt, aber von allen behandelt wird, als wäre er nicht mehr vorhanden. Diese Frau wird niemals nach China zurückkehren können.“ Sumi hob den Kopf und blickte Inken in die Augen. „Dabei bestand ihre Schuld ausschließlich darin, dass sie sich in einen Holländer verliebt hat. Er kaufte im Auftrag der Asiatischen Compagnie Tee, Porzellan und Seide ein. Viele Ostfriesen heuerten als Seeleute auf den Schiffen der Compagnie an, aber für die Auswahl des Teetesters wählte die Gesellschaft zumeist Holländer. Lange Jahre lag der Teehandel ausschließlich in holländischer Hand, und der feine Gaumen schien ihnen in die Wiege gelegt. Zumindest der verehrte Mann dieser Chinesin besaß ein untrügliches Gespür für guten Tee. Und er besaß unwiderstehliche Augen! Über eine Tasse Tee hinweg verlor sich diese Chinesin in seinen Augen, und alle Vorbehalte ertranken in ihnen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Der Holländer suchte die Nähe dieser Chinesin in jeder freier Minute, und sie trauerte, als er wieder heimfuhr.
    Mehr als ein Jahr verging, bis der Holländer erneut nach Kanton kam. Mehr als ein Jahr, in dem die Sehnsucht der tägliche Begleiter dieser Frau war, die mit bangem Herzen auf seine Rückkehr wartete. So viel konnte auf der langen Reise geschehen. Piraten lauerten auf die mit kostbaren Gütern be- ladenen Handelsschiffe, in deren Frachträumen auf der Hinfahrt nach Kanton Holzfässer voller Silbermünzen lagerten. Doch das Schiff trotzte allen Widrigkeiten und brachte derChinesin ihre Liebe zurück. Das Leuchten in Willems Augen erzählte ihr, wie sehr auch er sich nach ihr verzehrt hatte. Sein Wunsch war es, dass diese unwürdige Chinesin ihm in seine Heimat folgen solle, und er schenkte ihr einen Ring als Zeichen seiner Liebe. Es ist eine schwere Entscheidung, alles aufzugeben und in die Fremde zu ziehen. Doch wenn das Herz wählt, kann die Vernunft nicht siegen. Und das Herz dieser Chinesin gehörte dem Holländer. Wieder fuhr er davon, und diese Frau, seine Braut, nahm lange Abschied von allem, was ihr lieb war. In dieser Zeit trug sie seinen Ring heimlich in der Nacht und sehnte sich in jeder Stunde nach ihm. Weder die Zeit noch die Entfernung konnte, die Liebe aus ihrem Herzen reißen. Dann endlich kam der Holländer ein drittes und letztes Mal nach Kanton, und alle Träume wurden Wirklichkeit!“ Sumi hielt einen Augenblick inne. Dann seufzte sie tief. „Diese Frau kann nie mehr nach China zurückkehren, aber sie will es auch gar nicht! Das Leben ist Veränderung, alles ist endlich. Dieses Wissen lehrt sie, das Glück, die Blumen, den Regen, die Sonne, einfach jeden Augenblick bewusst wahrzunehmen, zu genießen und als winzigen Mosaikstein des Lebens im Herzen zu bewahren.“
    Mit angehaltenem Atem hatte Inken den Worten der Chinesin gelauscht. Sie war beeindruckt von der Lebensweisheit dieser Frau, von ihrem Mut und dem Opfer, das sie ihrer Liebe gebracht hatte. Vor ihren Augen erstand das Bild der jungen Sumi, die dem Mann ihres Herzens in die Fremde folgte. Wie aufregend das gewesen sein musste! Wie gut geplant. Und doch gab es da etwas, das ihr unerklärlich schien. „Wie ist es dir gelungen, aus China zu fliehen? Man sagt, dass nicht einmal eine chinesische Maus an Bord eines fremden Schiffes kommt.“
    Ein verklärter Ausdruck legte sich auf Sumis Gesicht. „Esgibt etwas, das die Chinesen nur zu gerne für Silbermünzen verkaufen: den Tee. Und er wird außer Landes gebracht. Wenn Tee das Einzige ist, was auf die Schiffe gelangt, wie ist dann wohl diese Chinesin an Bord gekommen?“
    Ungläubig musterte Inken Sumi, und nur zögernd kam ihre Antwort. „Du bist in einer Teekiste gereist?“
    Sumi nickte. „Ja, es war die aufregendste Tat im Leben dieser Frau. Doch mit dem Mut der Verzweiflung greifen wir nach den Sternen. Es hätte den Tod für diese Chinesin bedeuten können, ihren und den des Holländers. Aber niemand hielt eine solche Tat für möglich, und so blieb sie unentdeckt. Wer liebt, wird das Unmögliche wagen. Die Liebe hält alles für möglich – und es

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