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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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hatte einen Arm ausgestreckt, bewegte die Hand hin und her und beobachtete das Schattenspiel ihrer Finger an der Wand. Ihre Bewegungen waren lethargisch. Das Beruhigungsmittel tat seine Wirkung.
    Bald würde sie einschlafen. Ich fragte mich, was sie wohl mit geschlossenen Augen vor sich sah. Ich fragte mich, woher sie die Kraft nehmen sollte, jemals wieder aufzustehen.
    Vorsichtig trat ich auf sie zu und setzte mich im Schneidersitz vor ihr auf den Boden. Ihr Kopf drehte sich. Der Kiefer hing locker herab, und die eben noch vor Wut geröteten Wangen waren jetzt bleich.
    Sie sah wieder aus wie ein neunjähriges Mädchen, das schon allzu viel durchgemacht hatte.
    «Alles in Ordnung», flüsterte ich, wohl weniger ihr als mir zum Trost. «Eine schlimme Nacht für dich, aber so was kommt vor.»
    Sie hob den Kopf, als lauschte sie meinen Worten, richtete dann aber wieder ihre Aufmerksamkeit auf die Bewegung der Finger.
    «Du bist hier in Sicherheit», sagte ich. «Wir tun dir nicht weh und bitten dich nur, ein bisschen mehr Rücksicht zu nehmen. Keine Attacken mehr, okay, Lucy? Hier wird nicht geschlagen. Kein Beißen, Treten oder An-den-Haaren-Ziehen. Sei nett zu uns, und wir sind nett zu dir.»
    «Böser Mann», sagte sie plötzlich mit heller, mädchenhafter Stimme. Ich traute meinen Ohren nicht.
    «Lucy?»
    «Böser Mann», wiederholte sie.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Lucy sprach. Sie konnte sprechen.
    «Schon gut», flüsterte ich. «Bei uns gibt es keine bösen Männer. Hier bist du in Sicherheit.»
    Lucy wandte mir ihr Gesicht zu. Von dem Sedativ benommen, konnte sie die Augen kaum offen halten. Sie nahm meine Hand und drückte mit den kleinen Fingern überraschend fest zu.
    «Böser Mann»,
sagte sie wieder, mit scharfem, drängendem Ton diesmal. Ihre Augen blitzten dabei.
    «Keine Sorge, alles ist gut», versuchte ich zu beruhigen.
    «Nein», entgegnete sie klagend. «Nein.» Sie ließ meine Hand los, rollte sich zusammen und schien einzuschlafen.
    Ich blieb vor ihr sitzen und betrachtete ihren mageren, bleichen Körper.
    «Böse Männer sterben. Das Leben wird besser», sagte ich uns beiden zum Trost und fröstelte.

[zur Inhaltsübersicht]
    Samstag
14 . Kapitel
    D. D. wachte auf, als im Fernsehen gerade für ein Gleitmittel geworben und erklärt wurde, dass Männer welche mit Kühleffekt bevorzugten, während die Frauen eher auf prickelnde Wärmewirkung standen. Wenn allerdings beide, unterschiedlich präpariert, zusammenkämen …
    Auf diese Information hatte D. D. nur gewartet. Himmel, das
musste
sie wissen.
    Minutenlang stand sie halb nackt im Wohnzimmer vor dem Fernseher, als rechnete sie mit einer Wiederholung der kleinen Filmsequenz in anderer Besetzung, nämlich mit ihr und – sagen wir – Alex Wilson im zerwühlten Bett, sie mit einer seiner seidenen Krawatten um den Hals und er ohne ein Fitzelchen am Leib.
    Verflucht.
    Sie stieg auf ihr Trainigsfahrrad und fuhr eine Meile in drei Minuten und sieben Sekunden, kippte dann zwei Espressi und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
    Gegen halb neun traf sie mit einer Tüte Donuts bei ihrer Dienststelle ein. Die meisten ihrer Kollegen ernährten sich bewusst; Donuts kamen für sie nicht in Frage. Was ihr nur recht war. In ihrer gegenwärtigen Stimmung würde sie auch ein halbes Dutzend schaffen. Sie fing mit Boston-Crème an, schüttete sich eine Tasse Kaffee à la Morddezernat ein und nahm am Schreibtisch Platz.
    Um neun versammelte sich das Team plus Alex in ihrem winzigen Büro. Ihnen blieben circa dreißig Minuten, um die letzten achtundvierzig Stunden durchzugehen. Danach würde sie dem stellvertretenden Department-Leiter Bericht erstatten müssen. Hatten sie es mit zwei voneinander unabhängigen Verbrechen zu tun? Oder hingen beide Bluttaten miteinander zusammen? Ersteres würde bedeuten, dass ein zweites Team Ermittlungen aufnähme. Im anderen Fall würde es zur Bildung einer Sonderkommission kommen.
    D. D. schenkte Kaffee aus, deutete auf die halbleere Tüte und stellte sich neben die Weißwandtafel. Alex nahm auf einem Stuhl vor ihr Platz. Er trug, passend für den Samstag, eine beige Freizeithose und ein tiefblaues Polohemd, das hübsch mit seinen Augen korrespondierte. Die enge Hose ließ seine durchtrainierten Beine zur Geltung kommen.
    Und dann waren da seine Hände mit den langen, feingliedrigen Fingern, die auf den Knien lagen …
    «Mehr Donuts sind nicht übrig?», fragte Phil.
    «Leck mich», sagte D. D. und wandte sich

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