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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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seinem Vater die Aufgabe zu überlassen, für die Schäden, die er angerichtet hatte, aufzukommen, die Rechnung für ihn zu begleichen, die Bürde für ihn zu tragen, wie gewöhnlich, genau wie die anderen Male, immer wieder, dieser niederträchtige Hund.
    Allein der Gedanke daran brachte André zum Kochen, während er sich mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten über Laure beugte, die Unglückliche in dieser anstößigen Aufmachung, die Unglückliche, die leise in der Badewanne stöhnte. Dann riß er sich zusammen, ergriff entschlossen eine Bürste mit langem Stiel und seidenweichen, hellen Borsten und fischte zwischen verschiedenen Fläschchen und Flakons eine Flüssigseife mit Ylang-Ylang-Öl heraus.
    Er gab Laure noch eine letzte Chance, aufzuwachen und die Operation ohne seine Hilfe vorzunehmen: Er nahm die Brause vom Halter, drehte den Wasserhahn auf und duschte sie von Kopf bis Fuß ab – ließ jedoch nur einen warmen, leichten Regen auf sie niedergehen, der eher tropischer Natur war und ihr bestimmt keine Gewalt anzutun vermochte, denn er hatte abgrundtiefes, ja abgrundtiefes Mitleid mit diesem leidgeplagten Wesen.
    »Laure? Nun, meine liebe Laure? Wollen Sie nicht aufwachen?«
    Aber nein, sie wachte nicht auf, da ließ sich nichts machen. Sie blinzelte nur stumpfsinnig mit einem Auge, als er ihr den Unterrock – wenn man den widerlich klebrigen Klumpen noch so nennen durfte – über den Kopf zog, es gab keine Möglichkeit, anders vorzugehen, er hatte das Problem von allen Seiten betrachtet.
    »Ich bin gezwungen, Sie ein bißchen zu säubern«, erklärte er, während er über ihr auf die Pumpvorrichtung des Flüssigseifenspenders drückte. »Aber wenn’s nicht anders geht, geht’s eben nicht anders, oder?«
    Keine Antwort. › GHB ?‹ fragte er sich.
    Aber das war im Grunde ja auch egal. Wen scherte das schon? Das war Jacke wie Hose. Das Ergebnis war jedenfalls da. Das Ergebnis hatte er vor Augen. Überall war Verzweiflung zu spüren. Hier oder dort stürzten Frauen in eine Badewanne, und Greise halfen ihnen wieder auf. Ja, er wußte, wovon er sprach. Die Verzweiflung verschonte so gut wie niemanden. Niemanden.
    Diese Gedanken lenkten ihn ganz kurz von seiner Arbeit ab, die darin bestand, den Körper einer Frau mit einer weichen Bürste abzureiben, aber dann zögerte er nicht länger und streifte mit dem unpraktischen Ding ganz leicht die Brüste und Schenkel seiner Schwiegertochter. Ohne eine Sekunde zu verlieren, spülte er ihr eine knappe Minute später, so gut er konnte, das Haar ab, dann die Arme, die Schultern, die Knie usw.
    Er stellte das Wasser ab und spitzte die Ohren.
    Er mußte sie noch aus der Badewanne heben und sie abtrocknen.
    Gut. Er warf ihr einen Blick zu, holte tief Atem und ging dann in ihr Schlafzimmer, um ein Handtuch aufs Bett zu legen, anschließend hob er sie unter den Achselhöhlen hoch und zog sie aus der Badewanne, wobei bald sie, bald er stöhnte und auszurutschen drohte. Oh, sie wog mindestens hundertzwanzig Pfund und unternahm keinerlei Anstrengungen, um ihm zu helfen, die Entfernung, die sie von ihrem Bett trennte, zurückzulegen, und hundertzwanzig Pfund waren für einen Mann in seinem Alter keine Kleinigkeit. Sie glitt ihm aus den Armen. Behindert durch diesen Frauenkörper, den man nicht auf beliebige Weise und auch nicht an einem beliebigen Ende hochheben konnte, sank er auf halbem Weg mit ihr in einen Sessel – eine Sekunde lang überfiel ihn wie ein Blitz panische Angst.
    Dann machte er sich wieder tapfer mit ihr auf den Weg, halb trug, halb schleifte er sie hinter sich her, wobei sie zwangsläufig feuchte Spuren auf dem Teppichboden hinterließ, aber um solche Einzelheiten konnte er sich nun wirklich nicht kümmern, er tat schon sein Bestes, tat alles, was in seiner Macht stand, und wenn irgend etwas nicht stimmte, wenn es irgend etwas Störendes gab, konnte er nichts dafür.
    Er fiel rückwärts mit ihr auf das King-Size-Bett, richtete sich aber sofort wieder auf und sprang auf den Bettvorleger, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Er nahm vom Nachttisch eine herzförmige Praline aus mit Nugat gefüllter Milchschokolade, für die sie eine Schwäche hatte – die aber auch er gern mochte.
    Zumindest hatte er das Schlimmste hinter sich. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete sie. Er hatte sie zwar nicht vor einem furchtbaren Tod gerettet, aber er hatte in einem schwierigen Moment die Situation gemeistert, was ihn mit einer gewissen

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