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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Geruch des Erbrochenen war fürchterlich. Er warf ein paar Frotteetücher auf den Boden, um trockenen Fußes zu bleiben, denn er trug seine Lederschuhe von Valentino, dann packte er sie unter den Achseln, ein richtiger Waschlappen, zog sie nach hinten und lehnte sie vorsichtig mit dem Rücken an die Wand, im Schatten der Waschtische. Sie sah in diesem Augenblick aus, als habe man sie aus einer Sagosuppe gezogen. Was für ein erbärmlicher Anblick.
    Er schlug ihr auf die Wangen, aber sie öffnete nicht einmal die Augen. Sie begnügte sich damit zu stöhnen. Er vergewisserte sich, daß es nicht nötig war, den Notdienst zu rufen, und richtete sich mit verzerrtem Gesicht auf, da er Kreuzschmerzen hatte.
    Kein Grund zur Klage, sagte er sich. Laure war zwar völlig im Tran, aber das war kein Drama, keine wirkliche Katastrophe, wie er sie befürchtet hatte.
    Seit Richard verschwunden war, hatte es einige durchaus verständliche Entgleisungen gegeben – ein paar zerschlagene Möbelstücke, zwei, drei Nervenkrisen, den Versuch, das Arbeitszimmer ihres Mannes auf den Kopf zu stellen, und verschiedene Lappalien, die kaum der Rede wert waren – und um ehrlich zu sein, eher willkommen waren. Denn dank dieser Ausrutscher gelang es Laure, durchzuhalten und nicht die verhängnisvolle Tat zu begehen, die viele in ihrer Situation begangen hätten.
    André konnte sie nur dazu ermutigen, ihren Gefühlen in dieser Weise Ausdruck zu verleihen, wenn er die düsteren Schatten sah, die sie umgaben. Erbrechen war eine der unliebsamen Begleiterscheinungen der Sache, aber André kannte kein anderes, sauberes und elegantes Mittel, um seinen Kopf zu retten, wenn man mit einer solchen Lawine von unglücklichen Ereignissen konfrontiert war – das letzte nach Richards unsäglicher Gemeinheit war die Regression ihres Sohns, mein Gott, dieser Junge tickte wirklich nicht mehr ganz sauber und würde bald zu einem echten Problem werden, wenn er sich nicht einen Ruck gab.
    Man hätte schon die halbe Welt in die Luft sprengen müssen, wenn man etwas frische Luft haben wollte, aber das war für André nicht neu, seit er den Strom des Leids gesehen hatte, der durch seine Praxis floß, all diese angeschwemmten Leichen, diese ramponierten Schädel, und daher war der Ekel, den er vor dieser stinkenden Substanz empfand, in der sie sich gewälzt hatte, nicht sehr groß, zählte nicht wirklich.
    Wie dem auch sei, er zögerte. Er würde sie berühren müssen. Er bedauerte es, daß sie nicht wenigstens ein Höschen trug – ohne sich sicher zu sein, daß ihm das die Sache erleichtert hätte. Sollte er sie abseifen?
    Das war idiotisch. Sich so eine Frage zu stellen war idiotisch. Er mußte auf jeden Fall das tun, was er zu tun hatte. Er konnte doch nicht auf den Fußspitzen wieder weggehen, nur weil er mit einer leicht schockierenden Situation konfrontiert war – und überhaupt, das war übertrieben, so rückständig war er doch gar nicht, er war sogar fähig, angesichts kleiner Ärgernisse wie diesem etwa, die das Dasein bereithielt und auf den Weg streute, sich ein verkniffenes Lächeln abzuringen.
    Um sich nachher keine Vorwürfe machen zu müssen, gab er ihr noch ein paar Ohrfeigen, schüttelte sie, schob ihr ein Augenlid hoch, rief ihren Namen. Doch vergeblich. Sie hatte eine Gänsehaut: Die Haut auf ihren Armen und ihren Schenkeln sah aus wie die eines gerupften Huhns. Ihr Haar war zu Strähnen verklebt. Ihr Hintern schwamm in einer durchsichtigen Lache. Sie bewegte leicht den Kopf. Er beugte sich hinab, legte Laure einen Arm um den Hals und den anderen unter die Kniekehlen und richtete sich mit zusammengebissenen Zähnen auf, wobei er aus ganzer Seele betete, daß er sich bei diesem Kraftakt nicht einen Nerv einklemmte.
    Dann legte er sie in die Badewanne. Auch dabei hätte sein Rücken sehr leicht explodieren, wie ein wurmstichiger Balken zusammenbrechen können, doch André kam mit heiler Haut davon, nur sein Herz klopfte etwas schneller.
    Jetzt hatte er glänzende Schleimspuren auf seinem Schlafanzug. Damit hatte er gerechnet. Auf jeden Fall war das nicht sehr angenehm. Er öffnete das Fenster. Im Haus war alles still, und der Mond schien über dem Hügel, der ruhigen Umgebung und einer Reihe von Tannen, die wie Säbel neben der abschüssigen Straße glänzten, die Richard einen Monat zuvor am Steuer seines Luxusschlittens hinabgesaust war, um seine Frau, sein Zuhause, sein Kind ohne ein Wort der Erklärung im Stich zu lassen – und wieder einmal

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