Die Frühreifen (German Edition)
deprimiert.
Sie mußte diese Rolle um jeden Preis bekommen, wenn sie sich nicht auch verschlingen lassen wollte. Sie mußte diese Gelegenheit ergreifen. Nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten, das schwor sie sich.
Sie hatte sich gerade die Scham und die Achselhöhlen parfümiert und fragte sich, ob sie ein knappes Azzedine-Alaïa-Kleid anziehen oder in Jeans und einem schneeweißen T-Shirt aufkreuzen sollte, als Éric Duncalah, ihr Agent, an der Tür schellte.
Er war jünger als Richard, aber Richard hatte den Vorteil, daß er Peter O’Toole glich, während Éric Duncalah nichts anderem als einem Agenten glich, auch wenn er wie ein Sargträger gekleidet war und strohblond gefärbtes Haar hatte.
Richard stieg vom Hocker, um ihm die Tür zu öffnen, während sein Sohn Spiegeleier briet.
»Sie sitzt wie auf glühenden Kohlen«, sagte Richard warnend, als er wieder durchs Wohnzimmer mit den PinkBeauty-Tulpen ging, die sich nachts zum Schlafen schlossen, in einer jener Vasen, die Richards Eltern ihnen bei jedem Besuch mitbrachten – mal wieder eine Schnapsidee dieser beiden bekloppten alten Säcke, wie er vermutete.
»Schenk dir ein Glas ein«, sagte Richard zu ihm.
Evy hatte ein halbes Dutzend Eier in die Pfanne gehauen und wartete, daß das Eigelb stockte.
»Mir geht der Tod dieses Jungen nicht aus dem Kopf«, erklärte Éric, während er sich über die Bar beugte.
Dennoch sei er nicht trübseliger Laune, verriet er ihnen – er machte tatsächlich eher einen fröhlichen Eindruck –, nein, er müsse gestehen, daß er in einem Augenblick, in dem Laure ihr Comeback wagte, nicht den Mut habe, sich schwarzen Gedanken hinzugeben, nein, die Freude darüber sei stärker als alles andere und dafür schäme er sich nicht im geringsten. Er wisse ja, was Laure in all diesen Jahren durchgemacht habe und erst recht in der letzten Zeit, und er freue sich für sie. Das wolle er nur sagen. Er sei ganz einfach glücklich für sie. Er sei überzeugt, daß diese Frau, die sich im ersten Stock fertigmachte und die eine wunderbare, außergewöhnliche Schauspielerin sei, daß diese Frau bald alle in Staunen versetzen werde.
»Etwas Besseres kann man sich gar nicht wünschen«, entgegnete Richard.
Der Agent kicherte und schenkte sich einen Portwein ein.
Sie trafen sich zur verabredeten Zeit. Éric und Laure waren schon seit langem verschwunden, und Richard hatte sich in seinen Bungalow zurückgezogen und saß mit verzerrtem Gesicht vor seinem Computer. Die Nacht war still.
Evy hatte sich einen Dokumentarfilm über Krankheiten angesehen, die von Tieren auf Menschen übertragbar waren, und sich dann gefragt, wie er mit der Anziehung umgehen solle, die er heute stärker denn je für Gaby Gurlitch empfand.
Die Verabredung als solche war schon ganz schön verwegen. Das wußte Evy genau. Aber aus irgendeinem Grund gewannen die Instinkte immer die Oberhand, man wurde kühner, und die Zukunft wurde gefährlich, dagegen ließ sich offensichtlich nichts machen.
Durch das Fenster seines Zimmers bewunderte Evy den Mondschein, der die Tannen versilberte, er hatte sich schon die Glasscherben besorgt, die er benötigte – sie stammten von einer Flasche Corona, die er in die Morgenzeitung eingewickelt und zertrümmert hatte, dieselbe Zeitung, in der die Todesanzeige von Patrick Storer stand. Der Mond schien an diesem Abend besonders hell, so daß er es nicht für nötig hielt, das Licht in seinem Zimmer anzuknipsen. Er würde bestimmt so genug sehen.
Dem Sex zu widerstehen könnte sich als ziemlich schwierig erweisen.
Auch über seine Mutter und ein paar andere wurde viel erzählt.
Als er Gaby sah, gab er ihr ein Zeichen, sie solle hochkommen, dann trat er vom Fenster zurück und schob vorsichtig die Glasscherben in seinen Slip, was bewirkte, daß sich sein Schwanz völlig zusammenzog.
In Evys Augen verkörperte Gaby die Vollkommenheit, seit Patrick tot war. Denn sogar als dieser Hunderte von Kilometern entfernt eingesperrt war, sogar als Monat für Monat verging, hatte sie behauptet, ein Nachfolger käme für sie überhaupt nicht in Frage, und war wie ein Diamant in einer Schatulle geblieben.
Aber jetzt? Sie hatte selbst Richard beeindruckt. Die Ansicht seines Vaters in solchen Dingen war natürlich völlig unwichtig, aber immerhin hatte Richard sie nicht wiedererkannt, so sehr hatte sie sich verändert, er hatte sogar einen leisen Pfiff der Bewunderung ausgestoßen.
Als sie das Zimmer betrat, spürte er die scharfen Kanten
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