Die Frühreifen (German Edition)
der Glasscherben an seinem Schwanz. Gaby Gurlitch war größer als er, und die paar Jahre, die sie auseinander waren, hatten ihr eine Selbstsicherheit verliehen, die er längst nicht besaß, vor allem nicht unter diesen Umständen.
Sie blickte ihn ein paar Sekunden ziemlich freundlich an, dann setzte sie sich auf die Bettkante, wobei sie die Hände in den Taschen ihres blaßgelben Sweatshirts mit Kapuze stecken ließ, aber ansonsten hatte sie nackte Beine. Sie musterte das Zimmer, in dem eine durchaus akzeptable Unordnung herrschte – die Putzfrau saugte Staub und kümmerte sich um die schmutzigen Slips und Socken. Sie schüttelte den Kopf und erklärte, sie könne es noch immer nicht fassen. Sie könne es nicht fassen, daß Lisa und Patrick beide tot seien.
Evy bot ihr ein Bier an. Sie willigte ein, sagte aber, daß sie lieber einen Joint rauchen würde, wenn er etwas Kraut da habe und ihn das nicht störe.
Evy war sich im klaren, daß er jetzt angesichts der Falle, die er sich selbst zwischen den Beinen gestellt hatte, verdammt aufpassen mußte, aber er wünschte sich so sehr, die Beziehung zu Gaby nicht von Sex beeinträchtigen zu lassen, Gaby nicht körperlich zu begehren, daß er bereit war, dieses Risiko einzugehen.
Die Drohung schien auf jeden Fall zu funktionieren: Er stierte nicht wie ein Verrückter auf ihre Beine und ihre Brüste – die klein, aber schön rund waren –, hing nicht wie hypnotisiert an ihren Lippen. Seine einzige Sorge war der Geruch. Gegen Geruch war er hilflos. Wenn er nicht gespürt hätte, wie sich ein Glassplitter in seine Eichel bohrte, hätte er allein von ihrem Geruch einen hochgekriegt, das war unbestreitbar.
Gelassen holte er einen Joint aus seiner Hemdtasche, das konische, an der Spitze korkenzieherförmig zusammengedrehte, sofort einsatzbereite Modell, das für Spaziergänge in der Stadt gedacht war – Anaïs, die sie selbst rollte, bekam nur Komplimente dafür zu hören.
Er gab ihr Feuer. Wenn er keine Erektion bekam und sich nicht zu weit vorbeugte, müßte eigentlich alles gutgehen.
Sie nahm einen tiefen Zug und hielt mit geschlossenen Augen die Luft an. Dann sagte sie, daß sie Richard an seinem Computer gesehen habe und daß Schriftsteller sie faszinierten, seit sie ganz klein sei, seit dem Tag, an dem sie zum erstenmal ein Buch in der Hand gehalten habe.
Sie behauptete, daß dieser Joint genau das sei, was sie nach so einem schauerlichen Tag brauche.
Danach ließ sie sich rückwärts aufs Bett sinken und starrte an die Decke.
»Patrick glaubte, es sei seine Schuld gewesen«, erklärte sie. »Das hat ihn halb krank gemacht. Er hat mir am Telefon richtig Angst eingejagt.«
Man hörte den Klang einer Geige, der aus dem Haus der Crozes kam – Evy stellte sich Patricias Hände vor, die wie der Rest ihres Körpers und der ihres Mannes mit roten Flecken übersät waren. Man hörte das Rauschen des Waldes, die warme Luft, die durch die Äste strich, die Schreie der Nachtvögel, und alles nahm in ihren Köpfen andere Ausmaße an, denn Anaïs nahm ihren Job verdammt ernst, auch wenn sie ansonsten ziemlich viele Macken hatte, schlechte Qualität hatte es bei ihr nie gegeben – sie wußte, daß sie teuer war, dafür lieferte sie aber nur erstklassige Ware, absolute Spitzenprodukte.
»Das war ein richtiges Gefängnis dort. Und die Hälfte der Typen war total neben der Spur. Einmal in der Woche durfte er anrufen, doch selbst dann blieb jemand neben ihm, um zuzuhören. Die Vollpension kostete fünftausend Euro im Monat. Und seine Mutter ist der Teufel in Person.«
Er nickte – denn auf diesem Gebiet erstaunte ihn nichts. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln und spürte, wie sein Herz schneller schlug. Das war ein ziemlich unglaubliches Gefühl, das noch dadurch verschärft wurde, daß er angetörnt war. Er stand ihr gegenüber, den Hintern an den Schreibtisch gelehnt und die Hände an den Tischrand geklammert, während sein Schwanz nur noch ein feuchter Strohhalm war, und vor seinen Augen lag buchstäblich ein Engel, eine kurzhaarige Blonde mit rätselhaftem Lächeln, die anscheinend vom Himmel in sein Zimmer gefallen war, dieser Anblick verschlug ihm die Sprache.
»Stört es dich, wenn ich dir sage, daß deine Schwester und ich miteinander geschlafen haben?«
Sie war dabei, sich die Fotos anzusehen, die er in Patricks Sachen gefunden hatte – sowie ein Porträt von Lisa, das er in seine Brieftasche gesteckt hatte, geradezu rührend.
Er antwortete: »Nein,
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