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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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schließlich für ein süßsaures Lächeln: »Vergiß nicht, daß ich eine ganze Menge für dich tue. Ich hoffe, das ist dir klar, hm? Wenn du das nicht merkst, dann bist du wirklich blind.«
    »Und was bringt dir das?«
    »Ich will sie sehen, das ist alles. Ich habe nicht gesagt, daß mir das was bringt.«
    Evy wußte genau, daß seine Weigerung seit zwei Tagen – seit sie Andreas in den Toiletten in die Ecke gedrängt und bedroht hatte – Anaïs’ Starrsinn in keiner Weise beeinträchtigt hatte und sie keine Ruhe geben würde, bis er nachgab und sich entschloß, ihr diese verdammten Fotos zu zeigen. Er wußte, was für ein unverhofftes Glück sie für Anaïs darstellten, was für eine Gelegenheit, alles wieder aufzurühren, all diese Dinge wieder an die Oberfläche zu holen. Er wußte, daß sie nicht lockerlassen würde, koste es, was es wolle.
    Dann entdeckte er endlich Gaby Gurlitch, die aus der Bibliothek kam, und er konnte sich vergewissern, daß sie eine rätselhafte, erstaunliche Empfindung in ihm auslöste. Meilenweit entfernt von einer banalen sexuellen Anziehung – ganz das Gegenteil sogar.
    Anaïs folgte seinem Blick, und eine verächtliche Falte bildete sich auf ihren Lippen. »Ich jedenfalls habe nicht mit deiner Schwester gevögelt«, zischte sie. »Ich habe mich mit ihrer Freundschaft begnügt.«
    Doch sie hatte das Pech, daß Evys aggressive Laune verraucht war. Er blickte sie mit sanfter, fast wohlwollender Miene an und ging achselzuckend weg.
    Der Geschichtsunterricht in der letzten Stunde war mal wieder besonders langweilig, während draußen herrliches Wetter war, die Luft voller Düfte, das Licht strahlend, und das bei einer Temperatur von fast fünfundzwanzig Grad und einem Luftverschmutzungswert, der für unsere Breiten einigermaßen akzeptabel war. Die Sonne stand noch ziemlich hoch am Himmel, rund und geduldig, und die Spritzer des Springbrunnens, der den Schulhof zierte, trockneten sehr schnell auf dem Brunnenrand aus poliertem Stein. Jenseits der Umfassungsmauer fuhren zur gleichen Zeit zahlreiche Menschen in kurzärmligen Hemden übers Wochenende aufs Land, Stoßstange an Stoßstange – Schulter an Schulter, wie ein endloses mattes Heer in den Ausdünstungen von Tausenden von Auspufftöpfen, die gedämpft vibrierten –, bei völlig bescheuerter, kreischender Musik, die aus den Autoradios erklang, den Arm auf der Lehne an der Tür liegend und eher gut gelaunt, solange Frau und Kinder in der klimatisierten Luft ruhig sitzen blieben und diese Welt noch nicht in tausend Stücke zerborsten war.
    String hatte Evy abgeraten, sich zu duschen, und ihm, bis die Wunde völlig verheilt war, sogar strikt verboten zu baden, da dabei das Gewebe aufgeweicht werde. Aber die warmen Tage würden nicht ewig dauern, und niemand hatte Lust, bei so schönem Wetter im Haus herumzusitzen. Die Hälfte von Brillantmont dachte nur daran, an den See zu fahren.
    Um die Gemüter zu erhitzen, gab es nichts Besseres, seien wir ehrlich. Nicht die Aussicht, ein paar Züge in ziemlich kaltem Wasser zu machen, trieb all diese jungen Leute dazu, erst auf einer steinigen Straße und anschließend auf einem Weg voller Schlaglöcher noch mindestens einen Kilometer durch den Wald zu fahren, und auch nicht die Möglichkeit, einen wunderschönen Spaziergang inmitten von hohen Tannen zu machen, die sich im Licht wiegten. Nein, weder der Sport noch die Landschaft zog sie an. Es war etwas anderes.
    Das Ufer war von Dickicht und Unterholz gesäumt.
    Andreas ließ Evy nur ungern zurück, aber er sah keine andere Möglichkeit, da der Gedanke, auf den Ausflug zu verzichten, ihm nicht einmal in den Sinn kam.
    Einem Gerücht zufolge stiegen die letzten Hitzewellen den Mädchen direkt ins Hirn, und Andreas leugnete nicht, daß er sich für dieses Phänomen brennend interessierte.
    Er fragte Evy, ob er es sich zutraue, nach der Bushaltestelle einen Kilometer auf ihn gestützt zu Fuß zurückzulegen und auf dem Rückweg noch einmal das gleiche, ganz zu schweigen von der Reibung durch den Slip. Michèle Aramentis, die in der Nähe des Brunnens mit ihnen verabredet war, erklärte, daß sie das nicht für eine gute Idee halte, es sei denn, sie fänden ein Auto, das sie mitnahm – aber für die Schüler der zehnten Klasse war das ziemlich unwahrscheinlich.
    »Stellt euch vor, die Wunde platzt auf und fängt an zu bluten, das kann doch leicht passieren, nicht? Dann stehen wir ganz schön blöd da. Sollen wir ihm dann das Ding vielleicht

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