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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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durchbohrte ihn mit Blicken. »Zweifelst du daran?«
    Er erzählte ihr, daß sie am Schluß Halluzinationen gehabt hatten. Ihre Füße hoben vom Boden ab. Sie warteten, bis Richard in die eine Richtung und Laure in die andere gefahren waren, und nutzten die Gelegenheit, daß sie allein waren, um sich auf ihren Fastentrip zu begeben. Ab dem dritten Tag gingen sie nicht einmal mehr zur Schule. Sie verbrachten den ganzen Tag nackt im Haus und verabreichten sich gegenseitig Klistiere. »Ich muß sagen, daß wir ganz schön verrückte Sachen gemacht haben«, erklärte er und nickte dabei. »Das ist wirklich eine Zeit, der ich nachtrauere.«
    Gaby dagegen trauerte der Zeit nach, die sich daran anschloß. Ihr Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick bei der Erinnerung an die Monate, die sie zusammen verbracht hatten, bei der Erinnerung an das einzigartige Trio, das sie gebildet hatten, sie, Patrick und Lisa.
    »Ich habe den Eindruck, daß wir die einzigen Überlebenden sind, du und ich«, flüsterte sie und bot ihm ihr bestes Profil. »Das verändert ganz plötzlich die Beziehung zwischen uns. Das wird ja richtig seltsam.«
    Sie schüttelte ernst den Kopf und verkündete dann mit ratloser Miene, daß sie jetzt schwimmen gehe.
    Sie wurde von Tag zu Tag immer mehr zu einem Traumwesen, sagte er sich. Andreas fand, daß ihr Hintern ein bißchen zu flach war, aber war er tatsächlich imstande, an etwas anderes zu denken? Michèle fand sie etwas reserviert, aber hatte sie sich mal im Spiegel angesehen? Er streckte die Hand aus und stellte fest, daß sie zitterte. Das war eindeutig ein gutes Zeichen. Das war ihm schon seit Ewigkeiten nicht mehr passiert.
    Er legte sich auf den Rücken, die Hände hinterm Kopf verschränkt. Er hörte die Geräusche des Wassers, Kopfsprünge, Plätschern, und aus weiter Ferne kam in ihm ein leiser Hoffnungsschimmer auf, etwas, das er sich nie hätte vorstellen können, etwas, wovon er nie zu träumen gewagt hätte. In gewisser Weise war das fast erschreckend.
    Wie zu erwarten, nutzte Richard leider Gabys Abwesenheit, um näher zu kommen. Er hockte sich neben Evy, starrte mit verzogenem Gesicht zu den Baumwipfeln hinauf, ritzte mit einem trockenen Zweig irgendwelche Linien in den Boden.
    »Wenn ich meinen Vater ständig so auf der Pelle gehabt hätte«, begann er, »wäre ich darüber wohl nicht sehr erfreut gewesen, das gebe ich zu. Aber ich denke, daß er unter solchen Umständen recht gehabt hätte, es zu tun. Du mußt noch gewisse Anstrengungen vermeiden, mein Lieber. Du mußt vorsichtig sein. Auf jeden Fall nehme ich lieber deine Vorwürfe in Kauf, als noch mal so einen Schrecken zu erleben, wie du ihn deiner Mutter und mir eingejagt hast, das kannst du mir glauben.«
    » Was für Vorwürfe?«
    »Was für Vorwürfe?« wiederholte er spöttisch.
    Ohne ein weiteres Wort kehrte er an seinen Platz zurück und setzte sich wieder. Dann blickte er zwei- oder dreimal zu Evy herüber, ehe er ihm zurief: »Glaubst du, ich hätte die Absicht, deinetwegen in die Hölle zu kommen? Das glaubst du vielleicht. Glaubst du, ich würde nicht alles tun, um zu retten, was noch zu retten ist? Dann hast du aber eine sehr negative Meinung von mir. Dann kennst du mich schlecht.«
    ›Scheiße‹, dachte Evy und zog den Kopf ein.
    Da Gaby in der Stadt wohnte – in einer Atelierwohnung in der Nähe des Hauptbahnhofs, in der ihre Großmutter heimlich mit Erich von Stroheim und ein paar anderen Männern heiße Liebesnächte verbracht hatte und die sie daher auf keinen Fall aufgeben wollte, auch wenn sie inzwischen nicht mehr imstande war, die Treppen dorthin hinaufzusteigen –, setzte Richard zunächst seinen Sohn und die beiden anderen ab, die in der kühlen Abendluft bibberten, ehe er den Weg in Begleitung seiner jungen Mitfahrerin fortsetzte.
    Je weniger er zu Hause war, desto besser fühlte er sich. Andreas hatte es nie zu verbergen versucht, wie ungern er unter demselben Dach wohnte wie seine Mutter und deren Freundin. Die Affäre hatte schon vor fast zehn Jahren begonnen, und er schien der einzige zu sein, der heutzutage noch an einer solchen Beziehung Anstoß nahm.
    Seine Mutter Caroline Bethel-Burnis litt noch immer ein wenig darunter, obwohl ihre Lebensgefährtin Brigitte sie lebhaft ermunterte, den hundsmiserablen Charakter und den unergründlichen Egoismus dieses vierzehnjährigen Jungen zu ignorieren, der ebenso introvertiert war wie die meisten Hosenscheißer in seinem Alter.
    Früher hatte Caroline oft

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