Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
wählte die Nummer mit zitternder Hand – woran der Alkoholentzug nicht ganz unbeteiligt war.
    Im Stockwerk über ihr erklärte Evy Andreas klipp und klar, daß er besser den Mund hielt, was Gaby anging, daß er besser dieses Thema vermied, um nicht wieder so eine blödsinnige Bemerkung zu machen.
    »Habe ich das vielleicht erfunden?« seufzte Andreas, dessen Augen dennoch leuchteten. »Ist das vielleicht etwas Neues? Alter, ich versuch dir nur zu sagen, daß sie nicht ganz astrein ist. Das ist alles. Nicht ganz astrein.«
    »Halt den Mund. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    »Auf jeden Fall war das alles andere als cool. Ich habe die Sache nicht gerade in guter Erinnerung.«
    Andreas war in Wirklichkeit ein sehr sensibler Junge, auch wenn er sich gern hartherzig gab. Die Art, wie er Michèle behandelte, ließ das allerdings nicht erkennen. Andererseits hatte er sich zu der Zeit, als Evy nur Augen für seine Schwester hatte und ihr von morgens bis abends nicht von der Pelle rückte, von Evy fallengelassen gefühlt und ernsthaft darunter gelitten. Er hatte mehrere Abende damit verbracht, Lisa zu verfluchen und sich zu wünschen, daß sie ein für allemal verschwand, damit endlich dieser verdammte Zauber aufhörte – dieser verdammte Zauber, so ein Scheiß  –, der das Verhältnis zwischen den beiden Freunden belastete. Eine trübselige Zeit. Es war verständlich, daß Andreas absolut keine Lust hatte, so etwas noch einmal zu erleben. Verständlich, daß er der Wendung, die die Sache schon wieder nahm, mit Mißtrauen entgegensah.
    Judith Beverini lag gerade in der Badewanne. Sie war dort nicht allein. Sie war mit ihrem Mann zusammen, der soeben zwei Wochen in China verbracht hatte – dort, wo ihm zufolge ein goldenes Zeitalter für diese Scheißkerle begonnen hatte, während in den westlichen Ländern alles abwärts ging, eine Rezession drohte und bestenfalls eine Wachstumsrate von knapp einem Prozent zu erwarten war, und das bei einer Arbeitslosenquote von zehn Prozent –, daher konnte sie nicht sofort kommen. »Nein, meine Liebe, nicht sofort «, wiederholte sie mit gedämpfter Stimme. Sie hatte Laure eines Tages erklärt, daß sie als Ehefrau dem Mann gegenüber, der sie geheiratet hatte, gewisse Pflichten hatte. Auch wenn der Mann schon seit langem nicht mehr fähig war, ihr einen Orgasmus zu verschaffen – auch wenn das Badewasser allmählich abkühlte, die Schaumblasen nicht mehr das waren, was sie früher einmal waren, und das Ganze eher auf eine Tortur hinauslief.
    Laure spürte, wie ihre Knie weich wurden. Sie setzte sich und bemühte sich, das Haar zurückzustreichen, das ihr ins Gesicht fiel. Dann sagte sie Scheiße, Scheiße, Scheiße, was Judith sofort mißtrauisch machte, so daß sie sich in dem mit Vetiveröl parfümierten Schaum aufrichtete, wobei ihre Stirn und ihr Gesicht aus zahlreichen Gründen gerötet waren.
    »Laure, warte. Was ist los?«
    » Was los ist? Ich kann dir sagen, was los ist. Ich glaube, ich sollte mir eine Schlafkur gönnen.«
    Und dann begann sie Judith ihr schreckliches Erlebnis zu erzählen.
    Die Betrübnis und die Erniedrigung, die sie von Anfang bis Ende bei dieser Sache empfunden hatte. Axel Menders Geruch und seine häßliche Haut. Die Wirkung des Viagras, die abscheuliche Wirkung des Viagras. Das ganze unangenehme Drum und Dran.
    Sie saß völlig niedergeschlagen im Halbdunkel des Wohnzimmers. Während sie sich die verschiedenen Phasen dieses jämmerlichen Ereignisses noch einmal vor Augen hielt, wölbte sich ihr Rücken, und ihre Schultern wurden steif. Judith brabbelte am anderen Ende der Leitung irgendwelchen Mist. Laure verstand auf jeden Fall kein Wort davon und wunderte sich, als sie den Kopf hob und nach draußen blickte, über die Leere, die der Garten ausstrahlte, die Leere über dem Rasen, die Leere zwischen den Sträuchern, die Leere zwischen den Blumenbeeten, die Leere zwischen den Bäumen.
    Aber das Schlimmste an der ganzen Geschichte, der Schock, der ihren Körper wie ein heftiger Stromschlag von Kopf bis Fuß durchzuckte und ihr den Atem nahm, war Evy.
    Sie entdeckte ihn im Spiegel wie ein Gespenst, das hinter ihr stand. Das Telefon fiel ihr aus der Hand. Tsing-badabum.
    Sie beugte sich hinab, um es aufzuheben. Von nun an würde sie es doppelt bereuen, daß sie Axel Mender in Naturalien bezahlt hatte, daran zweifelte sie nicht.
    Evy ging wortlos hinter die Bar zum Küchenherd.
    Laure wurde leicht schwindlig, als ihr klar wurde, wie grausam die Situation

Weitere Kostenlose Bücher