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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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bereiteten sich darauf vor auszugehen, tranken einen Martini Dry auf der Terrasse oder liefen von einem Zimmer ins andere –, aber er nahm kein Echo irgendeines Fests wahr, hörte nichts Interessantes – nicht mal etwas über einen Stoff, um die Neuronen auf Trab zu bringen, wenn ihnen schon niemand Gesellschaft leisten konnte, oder über einen guten alten Xanaxtrip bei dem einen oder anderen Bekannten.
    »So eine Scheiße, sag mir nicht, daß wir den Abend allein verbringen müssen!« seufzte er mit einer angewiderten Grimasse.
    Doch es sah ganz danach aus. Manchmal war das eben so. Die Nacht schwebte düster über ihren Köpfen wie das Leichentuch eines riesigen Katafalks, und damit ließ sich nichts anfangen: Die simple Tatsache, am Leben zu sein, schien qualvoll, fast unerträglich, wurde fast zu einem saublöden Scherz. Wenn sich nichts ergab, was ihnen helfen konnte, bis zum Morgengrauen durchzuhalten, dann sah es zappenduster aus, echt tödlich.
    Sie gingen in Evys Zimmer, um sich aus lauter Verzweiflung wenigstens mit dem Kraut von Anaïs zu trösten, denn die Nacht versprach furchtbar zu werden.
    Im Vorübergehen hob Andreas in der Küche ein, zwei Deckel hoch. Er war sehr erfreut darüber, daß die Trendels die Köchin gewechselt hatten, und die liebenswürdige Italienerin Gina sagte ihm voll und ganz zu. Er nahm sich ein Stück Hähnchen mit Zitronenkraut mit – denn Brigitte begnügte sich nicht damit, seine Mutter zu vögeln, sie war außerdem noch eine miserable Köchin –, das er auf der Treppe verschlang, die Laure eine halbe Stunde zuvor außer sich hinaufgehetzt war.
    Was nicht heißen soll, daß sie mit etwas anderem gerechnet hatte. Axel Mender war nicht romantisch veranlagt, weder in Worten noch in Taten. Er hatte sie auf seinen Schreibtisch gelegt und es ihr von hinten besorgt und dann auf dem himmelblauen Teppichboden mit dem aufgedruckten dunkelblauen Firmenzeichen MediaMax weitergemacht, gegen das sie Stirn und Wangen gerieben hatte. In ihrem Haar klebte noch Sperma. Als sie sich im Spiegel betrachtete, sah sie, wie eine Frau aussah, die soeben mit einem Mann um die Sechzig gevögelt hatte, der sich mit Viagra aufgeputscht hatte, und ließ sich stöhnend aufs Bett fallen.
    Als sie die Jungen hörte, entschloß sie sich endlich, ihre Kleider abzulegen. Sie schob sie mit dem Fuß beiseite. Sie wusch ihren Slip mit der Hand und legte ihn auf den Handtuchhalter, ehe sie unter die Dusche ging. Ihr wurde klar, daß sie schon seit einer Ewigkeit jegliche Selbstachtung verloren hatte. Sie fragte sich, ob es der richtige Zeitpunkt sei, um mit dem Trinken aufzuhören.
    Andreas rauchte den halben Joint – den größten Teil des dickeren Endes –, ehe er ihn weitergab, so daß seine Augen schon aus den Höhlen zu treten schienen. Aber obwohl er reichlich angetörnt war, bemerkte er dennoch, daß Evy den Joint in der Hand hielt, ohne ihn an die Lippen zu führen. Er betrachtete seinen Freund einen Augenblick mit gerunzelter Stirn, ehe er sagte: »Ich möchte doch zu gern wissen, was das zu bedeuten hat. Ich möchte wissen, was du mir verheimlichst.«
    »Ich habe im Moment keinen Bock darauf«, erwiderte Evy.
    »Wow!« zischte Andreas und schlug sich gegen die Stirn.
    Er nahm Evy den Joint aus der Hand, schüttelte den Kopf und rauchte schweigend.
    »Du bist wirklich übergeschnappt«, kicherte er zwischen zwei Zügen. »Alter, du bist vielleicht eine Sondernummer, das kann ich dir sagen.«
    Was Andreas von ihm dachte, war nicht sehr wichtig. Evy machte sich nichts daraus. Das einzig Wichtige war, daß sie sich gegenseitig akzeptierten. Daß sie sich akzeptierten, so wie sie waren: unterschiedlich und sich nicht unbedingt in allen Dingen einig. Darin lag die Stärke ihrer Beziehung. Darin bestand der unzerstörbare Kern. Weder der eine noch der andere brüstete sich damit, die Lösung gefunden zu haben. Weder der eine noch der andere versuchte seine Meinung durchzusetzen. Sie hatten schon genug am Rest der Welt zu tragen – all diese Horden von Erwachsenen, die nur Machtkämpfe kannten und sich praktisch von morgens bis abends in ihrem Dreck wälzten.
    Auf der anderen Seite des Flurs spülte sich Laure mit ganz heißem Wasser ab, nachdem sie sich mit einem Massagehandschuh von Kopf bis Fuß abgerubbelt und mindestens fünfzigmal die Scheide und das Arschloch mit einer speziell dafür entwickelten Seife gereinigt hatte, die einem nicht das ganze Zeugs austrocknete wie ein x-beliebiges Spülmittel.

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