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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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sagen, so viele Dinge, mein armer Schatz, und hier sitzen wir und reden über diese Geldgeschichte, diese schmutzige Geschichte. Wie ist das nur möglich? Das verstehe ich wirklich nicht.«
    Im Grunde war es ihm lieber, wenn sie kühl und reserviert war. Er hätte es vorgezogen, daß diese Geschichte mit der Handtasche sie bis zur Ankunft der anderen beschäftigt hätte.
    »Ich habe mir das Wochenende freigehalten. Vielleicht können wir etwas unternehmen, was meinst du?«
    Er kratzte sich am Kopf.
    Sie habe nichts Besonderes im Sinn. Sie wolle ihnen nichts aufdrängen. Aber warum nicht ein Picknick, wenn das Wetter es erlaubte?
    Rose kam oft auf solche Ideen. Rose hatte immer irgendwelche Ausflüge im Sinn, Besichtigungen, Angelwettbewerbe, Autorennen. Nur mit dem Unterschied, daß Rose eine achtundsechzigjährige Frau war, eine Art Zombie, die in einer anderen Welt lebte. Und daß Rose seine Großmutter war und es ganz normal war, daß ihr Gehirn ziemlich aufgeweicht war.
    »Ein Picknick, sagst du? Du meinst, wir sollten mit dem Auto wegfahren? Belegte Brote machen?«
    »Ja, so in etwa. Dann könnten wir uns über so manche Dinge unterhalten, du und ich. Ich glaube, du könntest die Bürde, die auf mir lastet, etwas leichter machen, wenn du wolltest. Weißt du, ich glaube nicht, daß ich all das verdiene. Du könntest mir das Leben ein wenig erleichtern, wenn du wolltest.«
    »Ein Picknick ? Kannst du nicht etwas finden, was noch tödlicher ist? Wir könnten zum Beispiel Bridge spielen, hm, wie wär das?«
    »Ihr Besuch begeistert mich ebensowenig wie dich, das steht fest. Aber wir müssen dafür sorgen, daß noch ein kleiner Funke Menschlichkeit in uns erhalten bleibt, ein kleiner Funke Altruismus. Schließlich können wir uns nicht verhalten wie Tiere.«
    Er stellte fest, daß die Schauspielerei, mit der seine Mutter wieder angefangen hatte, ihr trotz der Schicksalsschläge und der Mißgeschicke, deren verhängnisvolle Liste ihr nie aus dem Sinn ging, sichtlich guttat und ihr wieder einen gewissen Glanz, eine gewisse Spritzigkeit verlieh. Die Schauspielerei – aber auch das Bumsen, also auf die eine oder andere Weise eine sexuelle Betätigung zu haben, ganz gleich ob gut oder schlecht, denn es ist ja bekannt, daß Sex den Frauen weichere Züge und eine starke innere Ausstrahlung verleiht und ihr Gesicht davon einen intensiveren Ausdruck bekommt.
    Er war sich durchaus bewußt, daß seine Mutter eine lebendige Person war, aber was änderte das schon? Nun, nicht viel, würde ich sagen, so wie ich Evy kenne. So war das nun mal, dagegen ließ sich nichts tun.
    Sie war am frühen Morgen lange für eine deutsche Zeitschrift interviewt worden und hatte dadurch noch etwas Strahlendes, so daß sich Evy eine Vorstellung davon machen konnte, wie sie ausgesehen hatte, als sie noch jung und ein aufsteigender Stern war.
    »Du kannst natürlich deine Freunde dazu einladen. Diese Gaby zum Beispiel. Im Grunde kennen wir sie kaum. Da ist also dieses Mädchen, und ich muß plötzlich feststellen, daß ich so gut wie nichts über sie weiß. Lisa hat sie mir vorgestellt, na gut, aber ich habe nie wirklich die Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen. Ich weiß nicht, sie macht irgendwie einen interessanten Eindruck. Das wäre doch mal eine Gelegenheit, sie näher kennenzulernen, meine ich.«
    Es blieb ihm leider nichts anderes übrig, als das Ende ihrer Hirngespinste und sonstiger wahnwitziger Vorhaben abzuwarten.
    »Hm, was hältst du davon? Da sie schon die Nacht unter meinem Dach verbringt, würde ich sie gern ein bißchen näher kennenlernen. Es sei denn, du hast etwas dagegen.«
    »Soll das heißen, daß das der Preis ist, den ich dafür zu zahlen habe?«
    »Nein, das meine ich nicht damit. Dreh mir nicht das Wort im Mund herum. Fang bitte nicht damit an. Nimm es nicht auf diese Art.«
    Ihr Handy klingelte. Sie ließ es klingeln und blickte nachdenklich nach draußen. Vor gar nicht so langer Zeit rannen ihr noch Tränen über die Wangen, sobald ihre Gedanken abschweiften.
    »Mein Gott«, seufzte sie, »wie kommt es nur, daß all das so schwer ist?«
    Evy konnte sich keinen Reim auf diese Frau machen. Selbst beim besten Willen gelang es ihm nicht, ihr zu folgen, herauszufinden, was sie eigentlich wollte. Immer öfter schien sie Dinge aufzugreifen und ließ sie dann wieder fallen, als habe sie ein Gedächtnis wie ein Sieb. Wußte sie eigentlich selbst, was sie wollte, abgesehen davon, ihren Hirngespinsten nachzurennen und sich

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