Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
und ein wunderbar schmatzendes Geräusch erzeugten. Da André saubere Arbeit liebte, hatte er Silikonschaum in die Zwischenwände einspritzen lassen, so daß, wie schon gesagt, niemand den anderen störte. Das war die Bedingung, unter der er kam. Und das war auch die ausdrückliche Bedingung, unter der Rose und er bereit waren, zu sehen, wie es ihren Kindern ging.
    Früher mußten sie auf den Flur gehen, um zu hören, was geschah. Damals blieb Rose immer einen Schritt hinter ihm zurück. Sie bekamen nur ein paar Fetzen der Streitereien mit, ein paar Worte oder Flüche inmitten von Tränen, aber sobald sie in ihr Zimmer über der von Grünpflanzen überwucherten Veranda zurückkehrten, waren sie überzeugt, daß die Ehe ihres Sohns bald in die Brüche gehen würde.
    »Aber wer will auch schon mit so einem Junkie zusammenleben?« fragte er sich mit lauter Stimme, während Rose wieder einzuschlafen versuchte.
    Fünfzehn Jahre später musterte er mit wachem, prüfendem Blick seinen Sohn durch den Rauch seines Zigarillos, während er einen Kaffee trank. Richard unterhielt sich gerade in der Nähe der Lebensbäume mit Alexandra Storer – einer zweifellos sehr hübschen Frau, auch wenn sie noch von der Trauer gezeichnet war –, und André versuchte herauszufinden, welche Schäden Lisas Tod verursacht hatte, nachdem die schlimmste Zeit inzwischen vorüber war. Hatten Richard und Laure eine etwas gebeugtere Haltung bekommen? Hatten ihre Gesichter ein, zwei Falten bekommen?
    Er stand lächelnd auf, um Alexandra Storer, die sich gerade verabschiedete, die Hand zu küssen, aber er war mit den Gedanken woanders. André Trendel hatte Hunderte von Menschen sich auf seine Couch hinlegen lassen, aber nur selten hatte es jemand so hartnäckig und halsstarrig darauf angelegt wie Richard, sein Leben zu verpfuschen.
    »Laß uns die Sache nicht unnötig komplizieren«, sagte Richard. »Dreh dich nicht um. Nein, glaub mir, wir brauchen ihn nicht.«
    Alexandra hatte sich ans Steuer ihres ML 430   Luxury gesetzt, um die fünfhundert Meter zurückzulegen, die die beiden Häuser trennten. Sie stiegen ein, während André noch mit offenem Mund dastand.
    »Und jetzt geht er zu Rose, um ihr zu erzählen, daß sich alle aus dem Staub gemacht haben. Aber das macht nichts. Fahr los.«
    Eine gläserne Lawine aus Armreifen klirrte an Alexandras Armen, als sie zurücksetzte. Im gleichen Augenblick verfinsterte sich der Himmel, und dicke Tropfen prasselten auf die Windschutzscheibe. Ein Sturzregen ging nieder.
    »Das dauert nicht lange«, murmelte Richard, während er seinen Vater beobachtete, der, vom plötzlichen Schauer überrascht, triefend und wie angewurzelt mitten im Garten stand und ihm mit zusammengekniffenen Augen nachstarrte. Die Tropfen prallten in großer Zahl von seinem Schädel ab, erzeugten so etwas wie einen weißlichen Strahlenkranz, und seine Schultern dampften.
    Im prasselnden Regen, der in Bächen den Hügel hinabströmte – der Beweis dafür, daß letztlich doch irgend etwas aus den Fugen geraten war –, öffnete Alexandra mit der Fernbedienung das gußeiserne Gartentor und kurz darauf die Garagentür und fuhr mit dem Auto direkt ins Trockene.
    Sie schaltete die Zündung aus, und darauf folgte ein Augenblick der Unschlüssigkeit und völliger Stille wie immer, wenn sie sich allein in einem ziemlich begrenzten Raum befanden, aber die Sache hatte nie wirklich konkrete Formen angenommen, und nichts deutete darauf hin, daß es an diesem Tag anders sein würde. Was nicht heißen soll, daß weder er noch sie jemals daran gedacht hätten, aber ihnen fehlte einfach die Begeisterung, der Elan, mit anderen Worten, sie glaubten nicht so recht daran oder zumindest nicht genügend oder eben nur ein paar Sekunden lang, und das reichte nicht aus, um die Sache wirklich in die Tat umzusetzen.
    Um sie nicht zu verletzen, behauptete Richard, die Drogen hätten ihn halb impotent gemacht, aber das stimmte nicht ganz. War aber auch nicht ganz falsch.
    Wenigstens waren sie Freunde. Außerdem hatten zwei furchtbare, identische Schicksalsschläge sie im Abstand von wenigen Monaten einander nähergebracht.
    Als sie das Wohnzimmer betraten – Alexandra war dort nur wenige Tage zuvor bei der Ankündigung einer schrecklichen Nachricht erbleicht, und auf dem Kaminsims stand jetzt ein Porträt von Patrick in dem Alter, als er noch Locken hatte –, hatte es aufgehört zu regnen, und ein doppelter Regenbogen tauchte im glitzernden Licht des

Weitere Kostenlose Bücher