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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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hatten eigenmächtig die Liegestühle, den Tisch, den Sonnenschirm und die Sessel umgestellt.
    »Vielen Dank dafür, daß du mir so schön Gesellschaft geleistet hast«, sagte André in leicht höhnischem Ton. »Vielen Dank dafür, daß du mich in deinem leeren Haus im Stich gelassen hast.«
    »Nun laß ihn doch in Ruhe«, schaltete sich Rose lachend ein.
    »Ja, aber er weiß genau, daß ich es nicht ausstehen kann, mich überflüssig zu fühlen. Wenn wir hier unerwünscht sind, Rose, dann bleiben wir keine Minute länger.«
    Richard ignorierte ihn. Er ging auf seine Mutter zu, die ihm die Hand entgegenstreckte, und erklärte ihr, daß es bei den jungen Leuten etwas Hickhack gebe, aber nichts Ernstes, nur die üblichen verworrenen Geschichten, aber daher habe er eine Weile verschwinden müssen. »Na klar, mach dir keine Sorgen«, antwortete sie ihm. »Dein Vater wird mit zunehmendem Alter immer kratzbürstiger. Er wird nicht umgänglicher.« Rose war geliftet.
    »Auf jeden Fall ist dein Sohn besser erzogen als du«, erklärte André. »Er hat mir geholfen, alles hierherzutransportieren. Er ist ein braver Junge. Hm, was hältst du davon? Das ist ein viel besserer Platz.«

An seinem Geburtstag machte Andreas ein paar Schritte mit Hilfe eines Spazierstocks, der Frank Zappa gehört hatte. Brigitte hatte ihn bei einer Auktion im Internet erstanden, nachdem sie eine ganze Weile mit einem Typen aus Minnesota im Clinch gelegen hatte. An einem windigen Spätnachmittag hatte sie unermüdlich versucht, zwei Dutzend Jugendlichen aus Brillantmont zu erklären, daß Frank Zappa ein Genie sei, auch wenn ihnen dieser Name absolut nichts sagte. Sie konnten es nicht abwarten, sich auf das Büffet zu stürzen – oder wenn sie zu den Glückspilzen gehörten, sich abzuknutschen.
    Caroline war in eine Depression verfallen, seit sie erfahren hatte, daß ihr Sohn bis an sein Lebensende ein Krüppel bleiben würde, und beobachtete Andreas an diesem Spätnachmittag voller Licht und Schatten mit einem mulmigen Gefühl im Magen und einer leichten Euphorie aufgrund der beiden Zoloft-Tabletten, die sie kurz zuvor geschluckt hatte.
    Ein heftiger Wind wirbelte die Blätter auf. Alle starrten schweigend Andreas an, der in seinem Rollstuhl das Gesicht verzog.
    Er nutzte eine Windstille, einen ruhigen Moment zwischen zwei Böen, um sich auf das Wagnis einzulassen. Er hatte die Sache zwar schon zwei Tage lang mit seinem Therapeuten geübt, aber Caroline schloß die Augen und hielt den Atem an, während er sich etwas gekrümmt aufrichtete wie ein Faun. Es wurde Beifall geklatscht. »Hört auf. Jetzt reicht’s aber!« rief er den Umstehenden zu, während er sich blaß und leicht wacklig auf seinen Stock stützte. Dann balancierte er wie auf einem Seil zu dem eindrucksvollen Büffet unter der von Dany Clarence entworfenen Gartenlaube, und dort angekommen erklärte er nach der lastenden Stille, die die wenigen Meter seiner Gehversuche begleitet hatte, die Bar sei geöffnet. Schreie, Pfiffe, Mützen, die gelüftet, hochgehoben, in die Luft geworfen wurden, beglückwünschten ihn zu seiner etwas zweifelhaften Leistung.
    Er könne etwa sechzig Prozent seiner Gehfähigkeit wiedererlangen, vielleicht sogar mehr, wenn er seine Heilgymnastik gewissenhaft durchführe. Brigitte beharrte auf diesem Punkt. Und dabei verlasse sie sich vor allem auf Michèle und Evy – dem sie dabei fest in die Augen sah, denn sie war der Ansicht, daß er natürlich einen Teil der Verantwortung trug –, ja, sie verlasse sich vor allem auf seine beiden besten Freunde, die ihn dazu anhalten sollten, die Gymnastikstunden nicht zu schwänzen, die ihm verschrieben worden waren und die er bereits zu kritisieren begann.
    »Anschließend ist es zu spät«, behauptete sie.
    Andreas knirschte dabei mit den Zähnen. Jetzt haßte er diese Frau noch mehr als zuvor. Die Heilgymnastikübungen waren eine echte Tortur, wenn man das wußte, wenn man die damit verbundenen Qualen kannte, die ihm Schmerzenstränen in die Augen trieben, dann ließ sich leicht begreifen, warum sie ihn unbedingt dorthin schicken wollte.
    Andreas kannte sie inzwischen immer besser. Manchmal tat ihm dieser verflixte Therapeut so weh, daß er einen Dolchstoß im Herzen zu spüren glaubte und fast ohnmächtig wurde.
    Sie stahlen sich durch den hinteren Teil des Gartens unter einem rötlichblau gestreiften Himmel davon, der sehr hoch wirkte und von langen senkrechten Wolken übersät war, die schaumig perlmuttweiß

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