Die Frühstücksfreundin
ist er zugestiegen.
»Erzählen Sie mir von Ihrer Frau«, bittet Sidonie unvermittelt. Wie soll er sich da ausdrücken? Von Franziska kann er nur Pluspunkte aufzählen und tut es auch, bis sie ihn unterbricht: »Sie lieben sie sehr. Sie können glücklich sein.«
»Bin ich auch«, bestätigt er. »Nur mit dem Beruf klappt es nicht so recht. Und souverän, wie Sie gestern meinten, bin ich auch nicht. Ganz und gar nicht.«
Das — so erklärt sie ihm tröstend ohne jede Belehrung — könne man selber nur schwer beurteilen. Es gebe zwar gewisse Anzeichen, wenn zum Beispiel eine innere Stimme immer wieder sagt: Geh an deinen Platz! Robert kennt diese Stimme. Seit einem Jahr, um genau zu sein. Er pflichtet ihr bei.
»Sehen Sie«, sagt sie und eröffnet ihm sogleich das nächste untrügliche Anzeichen für Souveränität. Mit Ehrgeiz und Fleiß sei der Sprung nicht zu schaffen. Mit diesen Mitteln strebe der Durchschnitt voran, unterstützt von Abitur, Doktorhüten, Ellenbogen. Die von der inneren Stimme geleitete Persönlichkeit dagegen wirke durch sich selber, durch die Kraft der Ausstrahlung. Folgerichtig fragt Robert, woran sich feststellen lasse, ob diese Kraft ausreiche, damit man da keinen Illusionen aufsitze.
»Das ist es eben!« sagt sie. »Allein schafft man es nicht. Und nicht jeder findet alles, was er zu seiner Selbstverwirklichung braucht, bei ein und demselben Partner. Sie haben Glück, Sie können mit Ihrer Frau über diese Dinge reden.«
»Und Sie mit Ihrem Mann.«
Sidonie formuliert ihren Vorbehalt durch eine Pause. Dann sagt sie: »Er ist viel älter, weiß viel, ein großer Kunstkenner. Ich müßte an sich nicht arbeiten. Aber ich kann auch nicht herumsitzen. Er ist sehr mit sich beschäftigt.« Die grauen Augen sehen Robert an. »Über diese Dinge kann man nur mit Menschen sprechen, die in derselben Lage sind.«
Von ihrem Griff nach seinem Unterarm strömt Schicksalsverwandtschaft in ihn hinein.
»Verstehen Sie jetzt, warum ich von Anfang an das Gefühl hatte, Sie schon lange zu kennen, Robert?« Ohne weiteres könnte er ihren Vornamen an seine Übereinstimmung dranhängen, doch es käme ihm billig vor, so postwendend. Lieber noch einmal nicken. Sie hat ja recht.
Ihr Fuß tritt auf die Bremse, direkt vor dem Fundbüro. Sidonie muß im Stadtplan nachgeschaut haben, denn er hatte von der Sekretärin nur den Stadtteil erfahren können. Bei laufendem Motor sagt sie:
»In zwanzig Minuten bin ich wieder da. Ich bekomme nur eine Spritze.«
Geschmeidig fährt sie an, flink geht das alles, ohne Aufwand.
Schon beim Druck gegen die Tür überrascht die kommunale Einrichtung mit vollem, kommunalem Aroma. Eigentlich hätte er den anderen Schuh mitbringen müssen, fällt Robert ein. Wie soll er sich als rechtmäßiger Verlierer ausweisen? Weil es aber, einmal in den Aromabereich vorgedrungen, töricht wäre, nicht wenigstens zu fragen, gesellt er sich den wenigen Wartenden zu, verkapselt zunächst, bis ihm eine Frau auffällt. Sieht er neuerdings nur noch Frauen? Diese jedenfalls, die ihm den Rücken zukehrt, kann er nicht übersehen, zu genau entspricht sie seinem ästhetischen Maß, seiner Witterung als Fallensteller, auch wenn sie, was weibliche Wesen seiner Entsprechung nie tun würden, einen Plastikbeutel in der Hand hält. Da wittert er den Schuh.
»Franziska!«
»Robert!«
Nichts hat sie gesagt zu Haus. Wollte ihn überraschen mit seinen Lieblingsschuhen, den teuren, mit beiden. Jetzt wundert sie sich.
»Wie konntest du weg, mitten in der Arbeit?«
»Ich könnt’ es so einrichten. Einer aus der Firma hat mich hergebracht.«
Warum lüge ich? fragt er sich. Ich könnte doch ruhig die Wahrheit sagen. Sie hält seine Hand, während sie warten und er auf die Uhr schaut.
Noch fünfzehn Minuten.
»Ich weiß nicht warum, aber ich freue mich wie ein junges Mädchen. Als hätten wir uns heimlich getroffen.«
Zärtlich läßt sie ihn sich fühlen. Da schlurft aus der Tiefe der Fundgrube ein Grubenbeamter auf sie zu, einen Schuh über die Linke gestülpt. Es ist der Rechte, einwandfrei. Auch der Obergrubenbeamte erkennt in beiden das Zwillingspaar.
»Ganz schöne Kostbarkeiten haben sie hier«, plaudert Franziska, während Robert die Rückeignungsformalitäten erfüllt.
»Jaja.« Sparsam wie ein Juwelier lächelt der Obergrubenbeamte, »und gerade die teuersten Sachen, Brillantringe und so weiter, werden am seltensten abgeholt. Die Leute haben kein Vertrauen mehr, daß einer noch abgibt, was er
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