Die Frühstücksfreundin
Dame doch in die Mitte« fällt Robert zu spät ein. Sie wäre auch nicht gut. Also in dieselbe Reihe auf die andere Seite. Doch da haben sich schon Passagiere schmal gemacht, geben beim Platznehmen Kostproben akrobatischer Geschmeidigkeit. Auch die Reihe dahinter ist besetzt, also irgendwohin. Nähe bringt hier sowieso nichts. Bei den hohen Rückenlehnen nicht einmal einen Blick. Ihre erste gemeinsame Reise. Warum ist Sidonie aufgestanden und weggegangen? Hätte sie Kirschner nicht geschickter umgehen können? Zum Glück dauern Inlandflüge ja nicht ewig.
Die Bordmusik, die im Ohr schmeckt wie Sandwiches in einem Hilton, versickert. Mit Dienstlächeln erklärt ein Häschen Sicherheitsvorkehrungen, als spreche es über Kosmetika, eine Männerstimme quakt Willkommen an Bord, nennt undeutlich den Namen und die exakte Flugzeit, sexy-sonor einen Absturz ausschließend, empfiehlt aber, die Sitzgurte auch während des Fluges geschlossen zu halten. Lächeln mit Zeitungen, Lächeln zur letzten Kontrolle vor dem Abheben von dieser herrlichen Welt. In Linienmaschinen ist man immer in den USA.
Um sich abzulenken, brauchte er nur an Karl zu denken. Am Wochenende hatte der Freund angeblich keine Zeit gehabt. So waren Franziska, Karin, Omilein und Robert mit den Kindern zum Ponyhof hinausgefahren und hatten in der typischen Elternstimmung zwischen Freude-gönnen und Stürze-befürchten dem Reiten zugeschaut. Bei Rückkehr fanden sie Karl im Garten. Mit Birgit. Er stellte sie als Tochter eines Mandanten vor, was sogar stimmen mochte. Karin zeigte keine gute Miene zu dem Spiel. Sie beachtete das Mädchen kaum, das sich darauf bei Karl beschwerte und beleidigt das Haus verließ. Omilein tat, als habe sie von allem nichts bemerkt, und fand das Mädchen besonders reizend. Ein anstrengender Nachmittag.
Hinter der hohen Lehne taucht Sidonies Kopf auf, dann der von Kirschner und der des Passagiers am Gang. Kleingedränge bringt Sidonie auf den Weg. Lächelnd kommt sie vorbei, unterwegs zu der Tür im Rumpf — ein vortrefflich getarntes Liebeszeichen. Sidonie.
Es hat sich etwas geändert seit den Tagen der Ungewißheit. Entgegen ihrer Forderung, über die legalen Partner nicht zu sprechen, hatte sie, vielleicht um sich seiner zu versichern, bevor sie mit höherem Einsatz weiterspielt, eine Art Bilanz angezettelt. Auf der Roßhaarmatratze.
»Ich dachte, daß Ruhe in mein Leben kommt durch meinen Vater-Mann. Dann kamen Sie. Jetzt weiß ich, daß es schwer ist, ohne Sie zu leben.«
Und was hat er bei ihr, das er bei Franziska nicht hat? Da kommt sie zurück, lächelt wieder vorbei. Heute abend werden sie zusammen einschlafen und morgen früh zusammen aufwachen. Franziska hat es ihm leicht gemacht.
»Seit wann mußt du beruflich verreisen?« hat sie ihn gefragt, und er hat es ihr nicht erklärt. Kühl war der Abschied; ein halbherziger Kuß auf die Backe.
Gong.
Robert muß das Rauchen einstellen, das er nicht angefangen hat, und schnallt sich bitte an. Aus dem möglichen Absturz ist nichts geworden. Minuten früher als angekündigt, hat die Erde den fauchenden Behälter wieder, das rhythmische Hilton-Sandwich ertönt weiter, wo es aufgehört hat, es wird auf Beton gerollt, wie das halbe Leben, die Männerstimme quakt von Crew, die wünscht gehabt zu haben und Auf Wiedersehn, bis ein letztes Lächeln sie aus der Sterilität entläßt.
Was jetzt?
Kirschner redet und redet und weicht nicht. Gut, den Omnibus noch. Aber dann! Vielleicht hat er einen Anschlußflug gebucht? Nein, er geht weiter, den ganzen Endlos-Fußmarsch bis zum Ausgang, mit Sidonie, hat auch nur ein Handgepäck, das Arschloch, winkt einem Taxi, hält Sidonie am Arm, daß sie sich nicht einmal umdrehen kann, zieht sie hinein.
Wie heißt das Hotel? Sie hat ja alles arrangiert. Er steigt in das nächste Taxi.
»Folgen Sie dem Wagen.«
»Geht nicht. Da vorn ist rot.«
»Aber ich muß! Da drin sitzen meine Kollegen. Ich weiß das Hotel nicht.«
»Das hab ich zufällig gehört. Ich bring Sie schon hin. Stört Sie das Radio?«
Unter diesen Umständen darf es ihn natürlich nicht stören, obwohl es ihn stört, gesungenes Klischeedeutsch mit fremdländischem Akzent. Robert hat andere Sorgen. Sie sind schon sichtbar.
Nobelherberge. Vor der Firma nicht vertretbar. Da muß er privat ausgleichen, kann die Rechnung nicht vorlegen.
So hat Sidonie gelebt, sieben Jahre. Die Umgebung färbt durch; das Trinkgeld für den Taxifahrer draußen entspricht einer Schildkrötensuppe
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