Die fünf Leben der Daisy West
sein musst?«, reißt mich Mason aus meinen Gedanken.
»Ist schon klar«, murmele ich um die Weintrauben in meinem Mund herum.
»Sie wird wissen wollen, wer du bist ... wer deine Eltern sind ... wo du vorher gewohnt hast.«
Ich schlucke die Trauben hinunter. »Ich weiß, was ich sagen muss.«
»In Ordnung.«
»Mach dir keine Sorgen, okay? Ich werde das Programm schon nicht platzen lassen.«
Mason sieht mich von der Seite an und schenkt mir für einen Moment ein ehrliches Lächeln, bevor er sich wieder ganz aufs Fahren konzentriert. Ich blicke aus dem Fenster und betrachte den Stadtteil, der draußen vorbeizieht. Die Häuser sind nicht brandneu, aber sie wirken massiv und stehen in blühenden Gärten mit großen Bäumen darin, die sofort Lust machen sie zu erklimmen. In einer Einfahrt steigt eine Familie in einen Minivan: Beide Eltern tragen Freizeitkleidung, das ältere Kind sieht aus wie eine Prinzessin und das kleine ist noch im Schlafanzug. Ein Stück weiter halten wir an einem Stoppschild und drei Mädchen mit Zöpfen fahren auf dem Rad hintereinander wie kleine Entchen an einem Zebrastreifen über die Straße.
Als die Stimme des Navigationssystems uns mitteilt, dass wir unser Ziel erreicht haben, ist da plötzlich ein ungewohntes, komisches Gefühl in meiner Magengrube. Reine Nervosität vermutlich. Bevor ich es unterdrücken kann, ist Mason in die Einfahrt eines großen, braunen Backsteinhauses im Stil der Südstaaten eingebogen. Die Veranda ist von Säulen flankiert und auch sonst scheint es an nichtszu fehlen. Ich hätte mir die Villa gerne noch länger angeschaut, doch Mason hat bereits die Wagentür geöffnet, um auszusteigen, und so tue ich es ihm nach. Audrey muss auf uns gewartet haben, denn sie steht bereits in der geöffneten Tür.
»Hi!«, ruft sie.
»Hallo Audrey!«
Mason geht auf die Veranda zu und steht eher vor dem Eingang als ich.
»Das ist mein Vater Mason«, sage ich schnell, als er den Mund öffnet, um sich vorzustellen.
»Hallo Dad von Daisy«, grüßt Audrey, als auch schon ihre Mutter hinter sie tritt. Angesichts des ausgiebigen Händeschüttelns könnte man denken, Audrey und ich wollten heiraten.
»Joanne McKean«, stellt sich Audreys Mutter vor und nimmt meine Hand. »Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Daisy.«
»Ganz meinerseits.«
Mrs McKean hat manikürte Fingernägel, glatte Haut und riecht ein wenig nach Ahornsirup. Sie trägt ein goldenes Kreuz um den Hals und eine hellblaue Strickjacke zu verwaschenen Jeans und Ballerinas. Ihr blondes Haar ist zu einem eleganten Bob geföhnt. Sie ist exakt der Typ Frau, den man sich als klassische Mutter vorstellt. Obwohl sie überhaupt nicht vergleichbar sind, erinnert mich Mrs McKean an Sydney, die ich sofort wieder vermisse.
Eine Weile unterhalten wir uns, bis Mason schließlich meinen (unverhohlenen) Hinweis versteht – »Dad, musstest du nicht irgendwohin?« – und Audrey und ich im Haus verschwinden können. Bevor wir uns in ihr Zimmer im ersten Stock zurückziehen, führt sie mich kurz durch das Erdgeschoss, das eine Mischung aus Kunstgalerie und Möbelkatalog im Landhausstil ist.
Als ich ihr Reich betrete, wird mir Audrey sofort noch sympathischer.
Die Wand hinter dem leuchtend gelb lackierten Kopfteil ihresBettes ist mit schwarzer Tafelfarbe gestrichen und von der Decke bis zum Boden voll mit Kritzeleien, Zeichnungen, Sprüchen und Notizen. Die Bettwäsche ist einfach nur weiß, aber darauf liegt ein cooles Kissen, auf das die Karte von Nebraska im Cartoon-Stil gestickt ist.
Auch die übrigen Wände sind weiß. Gegenüber vom Bett steht eine niedrige, schwarze Kommode. Gleich neben der Tür ist der Schreibtisch, über dem schlichte Regale angebracht sind. Dort erblicke ich auch Fotos, die meisten davon allerdings Familienbilder, dich ich mir nicht genauer anschaue. Die wenigen Aufnahmen von Freunden zeigen Gesichter, die ich nicht kenne. Wieder einmal frage ich mich, warum Audrey nicht mehr Freunde hat, doch dann bin ich erst einmal froh, hier zu sein und schaue mich weiter um.
Direkt bei dem großen Fenster ist eine kleine Sitzecke eingerichtet. Zwischen einem schmalen Futon und einem gelb, rot und schwarz gestreiften Sessel steht ein durchsichtiger kleiner Tisch. Der Stapel Zeitschriften, der darauf liegt, sieht fast so aus, als würde er in der Luft schweben.
»Ist der aus Plexiglas?«, frage ich und zeige auf den Tisch, bevor ich mich gegenüber von Audrey in den Sessel plumpsen lasse.
»Ich glaube«,
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