Die fünf Leben der Daisy West
alles egal, außer wie ich mich derzeit fühle.
Schlecht.
Elendig schlecht.
Mir ist gleichzeitig heiß und kalt. Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich mich zudecken und mir den fürchterlich schmerzenden Kopf abschneiden. Ich würde mich zusammenrollen und sterben, wenn das nicht bereits geschehen ist. Vorsichtshalber kneife ich mich am Arm, um sicherzustellen, dass ich noch lebe.
Dann kommt in Schüben die Erinnerung zurück.
Wie ich mit Brittney über den Fußballplatz gerannt bin. Wie Nate mich an den Beinen festgehalten hat und ich in dieser Position weitergetrunken habe.
Wie ich mit Colin Karaoke gesungen habe, und zwar ausgerechnet das Schmachtduett »No Air«.
Wie ich Wade danach auf einer Tanzfläche in die Ecke gedrängt habe, um ihn mit dem Programm zu konfrontieren.
»Warum willst du nicht darüber reden?« Ich glaube, ich habe ziemlich gelallt und er hat sich das Gesicht abgewischt, bevor er mich einfach stehen ließ. Jetzt würde ich am liebsten im Boden versinken, als mir bewusst wird, dass ich ihn offenbar angespuckt hatte.
Stöhnend liege ich auf dem mir unbekannten Teppich und fahre mir mit der Zunge über die Zähne. Sie fühlen sich pelzig an, verklebt von Zucker, Alkohol und noch etwas anderem – vielleicht Hot Dogs. Ich rieche Erbrochenes, mag mich aber nicht bewegen, um nachzusehen, von wo genau der Geruch kommt. Der Bass wird noch lauter. Offenbar hat gerade jemand die Tür geöffnet.
»Ich glaube, hier drinnen«, sagt eine männliche Stimme. »Warte mal.«
Ich höre das Knirschen von Schritten auf dem Teppich. Jemand kommt durch den winzigen Raum auf mich zu. Ich halte die Luft an, weil ich keine Ahnung habe, ob ich überhaupt hier sein darf. Er tritt so dicht an mich heran, dass meine Finger seine Sohlen berühren. Als er mich sieht, schnappt er nach Luft.
»Scheiße! Hast du mir einen Schrecken eingejagt!«, flucht er.
»Tut mir leid«, murmele ich. Mein Mund ist staubtrocken.
»Was machst du dort unten?«
»Mich ausruhen«, sage ich.
»Wie lange liegst du schon hier?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Ähm ... okay. Gut, dann bleib so lange, wie du lustig bist«, sagtder Typ und schickt sich an zu gehen. »Oder soll ich jemandem Bescheid geben?«
»Geht schon«, sage ich. »Ich habe bereits meine Freundin Audrey angerufen.«
Habe ich das getan? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, mit ihr gesprochen zu haben.
»Das ist gut«, sagt der Typ und achtet darauf, nicht auf meine schlaffen Gliedmaßen zu treten, während er sich langsam in Richtung Tür entfernt. »Ich sage dem Türsteher, dass er nach deiner Freundin Ausschau halten und ihr sagen soll, wo du bist.«
Ich antworte nicht. Meine Augen sind geschlossen.
Drei Minuten oder vier Stunden später stößt mich jemand an. Ich rolle mich zusammen und trete nach dem Eindringling, der mich in meinem Koma stört, will protestieren, doch mein Mund funktioniert genauso wenig wie mein Körper. Und so werde ich ohne Widerworte in die Nacht hinausgeschleppt, in ein Auto geschoben und weit, weit fortgefahren.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
12
»Daisy? Bist du wach?«, ruft Mason von der gegenüberliegenden Seite des Food Courts. Er sitzt mit Cassie und Nora Fitzgerald zusammen und alle drei starren mich an. Dann klopft er zwei Mal auf den Tisch vor sich, als wäre es eine Art Code. Nachdem er ein drittes Mal geklopft hat, sieht er mich erwartungsvoll an, als müsste ich wissen, was er damit sagen will.
»Daisy?«, ruft er wieder.
Verwirrt schaue ich auf und stelle fest, dass Matt bei mir ist.
»He«, flüstert er. »Antworte ihm.«
Doch dann packt eine kräftige Hand meine Schulter und reißt mich aus meinem Traum.
Ich öffne die Augen und bin überrascht und erfreut zugleich: Matt liegt neben mir auf der Seite, sieht mich an – und es ist kein Traum. Mir stockt der Atem vor Aufregung.
»Antworte deinem Vater«, flüstert er ruhig. Ich runzele die Stirn.
»Antworte ihm, sonst will er noch reinkommen«, insistiert Matt.
Langsam verstehe ich, worum es geht und versuche zurückzurufen, doch ich kriege keinen Ton raus. Ich räuspere mich und muss unwillkürlich an Mr Jefferson denken. Ich frage mich, ob er vielleicht ein Alkoholproblem hat. Schließlich kehrt meine Stimme zurück.
»Ich bin wach«, sage ich laut und krümme mich dabei vor Schmerzen.
Ich sehe in Matts dunkle Augen und er sieht in meine. Wenndas Sprechen nicht so weh tun würde, hätte ich ihn gefragt,
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