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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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vor einem herumstand.
    Als Harald aber eine Stunde später auf seinem Rad saß und aus der Havellandstraße zum Zentrum hinunterfuhr, war die Müdigkeit aus seinem Gesicht wie weggewischt. Das heiße Bad und die anschließende kalte Dusche hatten ihn wieder völlig wachgerüttelt. Der frische Wind, der ihm jetzt vom Hafen her ins Gesicht sprang, tat sein übriges.
    So sah er nun auch mit wachen Augen, was über Nacht geschehen war.
    An der Ecke, wo die Havellandstraße zur Hafenchaussee einbiegt, sprang es ihm, von der Mauer eines Kohlenplatzes herunter, zum ersten Mal in die Augen:
    „Der Nachtexpreß, Deine Zeitung!“
    Groß, bunt und schreiend.
    Aber das war nur der Anfang.
    Es schien, als hätte es in der Nacht diese Plakate vom Himmel geregnet.
    Und nun konnte sich Harald auch erinnern, daß er ja heute nacht, als er von der Hansemannstraße nach Hause gefahren war, des öfteren kleine Trupps bemerkt hatte, die in den Straßen und an den Häusern herumgestanden waren. Er hatte ihnen weiter keine Beachtung geschenkt, weil er zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Und dann war er auch verdammt müde gewesen. Schließlich war es einigermaßen anstrengend und ungewohnt, halbe Nächte hindurch auf einem Mauervorsprung zu sitzen und nur in einen Hof zu starren, dort nach Stimmen zu lauschen und sich dann noch über ein paar Lichter klarzuwerden, die in diesem verdammten Hof hinter ein paar kleinen verhängten Fenstern genau bis vierundzwanzig Uhr siebenunddreißig gebrannt hatten —
    Zugegeben, dieser Hof gehört zum Gebäude des Nachtexpreß. Also zum Betrieb einer Zeitung. Und Zeitungen halten sich nicht an bestimmte Bürostunden. Das liegt an der Art ihrer Arbeit. Aber irgendwie schien es mit diesen Lichtem doch eine besondere Bewandtnis zu haben. Sie waren nämlich sorgsam verhängt gewesen. Und nur, wenn jemand neben diesen Fenstern eine niedere Tür geöffnet hatte, war ein dünner, greller Lichtstrahl über den ganzen Hof gefallen. Kurz, immer nur so lange, wie man eben braucht, um möglichst schnell eine Tür vor sich zu öffnen und hinter sich zu schließen. Das ist ein verteufelt kurzer Augenblick, um sich die einzelnen Gestalten einzuprägen, deren Umrisse ja ebenfalls nur für die kurze Dauer ihres Eintretens oder Weggehens zu sehen sind. Aber Harald hatte nun schon die fünfte Nacht hindurch diese verhängten Fenster und diese Tür pausenlos im Auge behalten. Dabei hatte er dann doch allerhand zu sehen bekommen. Und gerade gestern nacht hatte diese schmale Tür zum erstenmal länger offengestanden---
    Hut ab! Die Klebekolonnen des Nachtexpreß hatten ganze Arbeit geleistet. Jedes Stück Bretterzaun, jede Mauer und jede einigermaßen geeignete Hauswand waren bepflastert.
    Am Ende der Dockstraße und auf dem Hansaplatz schien man im übrigen noch jetzt bei der Arbeit zu sein. Sogar der Denkmalsockel Marco Polos mußte herhalten. Eine Gruppe von Männern war gerade dabei, hier gleich eine ganze Reihe von fünf oder sechs riesigen Plakaten dicht nebeneinander zu kleben.
    „Lest den Nachtexpreß!“ So schrie es auch bereits von allen Litfaßsäulen. Selbst die Straßenbahnen trugen auf ihrer ganzen Längsseite die gleichen schreienden Aufschriften. Harald stellte es fest, als er in der Pardemannstraße die 76 überholte.
    Als der Junge vor dem Gebäude der Kriminalpolizei sein Fahrrad zum Stehen brachte, sah er eigentlich hier die erste Häuserfront vor sich, die von der Reklamewut der Konkurrenz verschont geblieben war. Diesen Gebäudekomplex hatte man doch respektiert. Das Zimmer 218 lag im zweiten Stock, am Ende des schmalen, langgezogenen Ganges. Der Boden des Gebäudes war mit Steinplatten ausgelegt. So klangen die Schritte, als ginge man durch den Korridor einer alten Ritterburg. Die hohen Bogenfenster mit ihren kleinen bunten Scheiben vervollständigten diesen Eindruck. Kriminalkommissar Haustecher war gerade mit seinem Frühstück beschäftigt. Er hatte seine Thermosflasche neben dem Tintenfaß auf seinem Schreibtisch stehen. Die Brotschnitten lagen säuberlich nebeneinander auf einem Stück Pergamentpapier ausgebreitet.
    Das bedeutete nun allerdings nicht, daß jetzt alle Arbeit ruhen würde. Der Kriminalkommissar gehörte zu jener Art von Menschen, die gut und gerne mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausüben können. Er biß also in eines seiner Frühstücksbrote, griff auch hin und wieder nach dem dampfenden Becher seiner Thermosflasche, las aber trotzdem sehr

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