Die Fuenfzig vom Abendblatt
seinem Wagen angebraust. Sie hatten alle zuerst durch den Haupteingang zur Straße rennen müssen, weil der Parkplatz vor dem Gebäude lag.
Die Stimmung war prächtig.
„Haben die sich so gedacht —“ verkündete Chefredakteur Sprinter immer wieder. „Die Fahrräder außer Gefecht setzen, und dann bleibt das Abendblatt liegen. Pustekuchen!“ Er hatte sich endlich seine Pfeife angesteckt und nahm einen Zug nach dem anderen. Wo er gerade war, stiegen lauter kleine weiße Wölkchen in die Luft.
Die elf Jungen, die noch Fahrräder zwischen ihren Beinen hatten, fuhren wie die Teufel. Heute gab es keine Stopplichter und auch keine Schupos. Heute hing man sich an jedes Lastauto. Heute fuhr man kreuz und quer über die Straßen, so wie eben der Weg am kürzesten war.
Alibaba lieferte am Hansaplatz ab. Der Rothaarige hatte keine Zeit, erst lange zu erklären, weswegen Sam heute nicht käme, so wie gewöhnlich.
„Hat geschwollene Mandeln und liegt im Bett.“
Mehr erfuhr Witwe Schreiber nicht. Denn als sie genauer nachfragen wollte, etwa nach der Höhe der Temperatur und der vermutlichen Dauer der Krankheit, war Alibaba längst wieder außer Sicht. Sie sah seinen Rücken nur noch irgendwo vor einem Omnibus einbiegen und hinter einer Straßenbahn verschwinden.
Harald hatte seine Tour beibehalten.
Clemens Krüger war schon mitten im Verkauf des Nachtexpreß. Harald warf seine Pakete wortlos und in Eile auf das Schalterbrett. „Schlecht gelaunt, wie? Nicht mal .Guten Abend’ hört man heute — ?“
Der dicke Krüger ließ Harald eine ganze Weile warten. Auch wie er jetzt die Quittung unterschrieb, tat er es umständlicher als sonst.
„Sehr in Eile, wie?“
Harald zwang sich zur Ruhe.
„Ein paar Mann ausgefallen. Ziemlich viele sogar. Die Räder kaputt. Sind heute nur elf. Da zählt jede Sekunde —“
„---na dann allerdings. Dafür hab’ ich volles Verständnis — “ Dabei ließ der Dicke jetzt den Quittungszettel zu Boden fallen, suchte ihn umständlich, bis er ihn endlich zurückgab.
„Ist immer dasselbe, wenn etwas schnell gehen soll, klappt es nicht!“
Er lächelte und flötete vor sich hin. Es klang wie das Zwitschern eines Buchfinken. Harald hörte es nicht mehr. Er bog schon wieder in die Kieler Straße ein.
Sam und Klaus Verhoven saßen neben einem Dr. Pfefferkorn von der politischen Schriftleitung in dessen Mercedes 220. Der hintere Teil des Wagens war voll von Zeitungspaketen.
„Aus jeder Zeitung guckt dein Vater die Leute an, wenn sie Seite drei aufschlagen“, wieherte Sam vergnügt.
„Gratuliere meinte Dr. Pfefferkorn. „Du bist also der Sohn von diesem Herrn Verhoven
In diesem Augenblick bog man bei der Markthalle ein.
„Stopp! Hier rechts erklärte Sam. Der Wagen hielt neben einem Kiosk, und die Jungen sprangen ins Freie.
Ein Nachtexpreß-Fahrer, der gleich nach ihnen ankam, grinste ziemlich frech.
„Sehr originell! Ist wohl eine ganze neue Masche?“
Er kam schon zum zweiten Mal und hatte es nicht so eilig. Aber als er dann seine Zeitungen abgeliefert hatte und wieder auf sein Rad steigen wollte, verging ihm das Grinsen. Beide Reifen hatten nämlich keine Luft — und wie er gleich darauf feststellte — auch keine Ventile mehr.
Als Sam und Klaus Verhoven in den Abendblatt-Hof zurückkamen, startete gerade Brille zusammen mit Hauptschriftleiter Sprinter in einem weißen schmalen Sportwagen. Hinter den beiden auf dem Rücksitz lag ein Berg von Zeitungspaketen.
An der Ausgabe standen die Taxis Schlange. Dazwischen die Autos der Schriftleiter. Der alte Bombinsky hatte alle Hände voll zu tun. „Man sollte das immer mit Autos machen“, stellte Sam fest. Aber kaum hatte er es gesagt, biß er sich auch schon auf die Unterlippe. „Und was wird dann aus euch und euren Fahrrädern?“ fragte lächelnd Dr. Pfefferkorn von der politischen Schriftleitung.
„Verzeihung meinte Sam und hustete, als habe er was im Halse. „So ist nun einmal die Entwicklung. Die Eisenbahn löst das Pferd ab, das Auto die Eisenbahn, das Flugzeug das Auto — und von dem, was die Atomkraft eines Tages an Verkehrsmitteln bringen wird, wissen wir heute noch nicht---“
Aber Sam hörte schon gar nicht mehr zu.
Drüben rollte nämlich gerade die schwarze Limousine des Allgewaltigen in den Hof. Sie wendete wie ein Flugzeugmutterschiff, und dann allerdings wußte sie nicht mehr recht wohin.
Da sprang Sam aus dem Mercedes von Dr. Pfefferkorn und winkte die schwarze Limousine zu sich, als wäre er Mr.
Weitere Kostenlose Bücher