Die Fuenfzig vom Abendblatt
die Gelegenheit kommen, und er würde bezahlen müssen. Mit ziemlich hohen Zinsen sogar.
Aber da war dieser junge Italiener. Das war viel schlimmer.
Alibaba hatte die Horde zusammengerufen, und jetzt saß oder stand man beisammen.
Mario war in der Druckerei abgeholt worden wie ein Kilo Beefsteak, das man dort im Kühlschrank deponiert hatte, damit es frisch blieb. Jetzt saß der junge Italiener auf einer leeren umgestülpten Kiste wie ein Häufchen Elend.
„— wir könnten ihm einfach den roten Abendblatt-Pullover ausziehen und ihn rauswerfen. Dann wäre er Luft für uns, und alles hätte wieder seine Ordnung---“
Der Boß stand breitbeinig auf der Ausgaberampe. Sein rotes Haar klebte ihm noch naß an der Stirn. Er hatte heute zwölf Touren gefahren. Zwölf Touren mit einem Gepäckträger, der zum Brechen voll gewesen war.
„— So haben wir’s im Fall Erwin Kogge gemacht. Damals glaubte ich, das sei eine Ausnahme. So etwas würde es nie wieder geben. Aber Täuschung! Heute kommt schon die zweite Auflage. Dabei gleich um gute zehn Kilo schwerer. Die Strolche machen Schule bei uns! Und das muß verhindert werden. Aber ich bin nicht dafür, jemanden zu verprügeln, wenn er wehrlos ist. Und dieser Kerl da ist der Schwächste von uns allen---“
Alibaba strich sich sein Haar aus der Stirn und schaute für zwei Sekunden irgendwo in die Luft. Dabei wurde sein Sommersprossengesicht plötzlich hell und weiß vom Mond angestrahlt, der in diesem Augenblick durch ein Wolkenloch guckte.
„—jedes Kind, wenn es Marmelade aus der Speisekammer klaut oder eine Fensterscheibe einschlägt, weiß, daß es Strafe zu erwarten hat. Als uns der da der Boß wies mit seinem Kopf zu Mario hinüber — „beim Nachtexpreß verraten hat und heute abend an unseren Fahrrädern die Reifen durchschnitt, mußte er auch damit rechnen, daß wir uns das nicht so ohne weiteres gefallen lassen, wenn er erwischt würde. Vielleicht hat er sich aber doch gedacht, es ginge ihm dann eben höchstens wie Herrn Kogge. Und da liegt die Kartoffel im Spinat! Damit eines Tages nicht auch wieder ein anderer denkt, daß er leer ausgeht, wenn er irgendeine Gemeinheit gegen uns vorhat, deshalb muß mit diesem Kerl irgend etwas geschehen. Und zwar sofort.“
Der Rothaarige hockte sich daraufhin von der Stelle, auf der er bisher gestanden hatte, ohne viel Umstände auf die Ausgaberampe. Er hatte gesprochen. Nun sollten die andern etwas sagen. Unwillkürlich suchten seine Augen dabei nach Harald. Ob er Panne gehabt hatte? Auch er müßte eigentlich längst zurück sein.
Die Horde war mit dem, was ihr Boß gesagt hatte, einverstanden. Keiner widersprach oder sagte etwas dagegen. Aber es meldete sich auch keiner zum Wort, um zu sagen, was nun zu geschehen habe.
Daß dieser Mario Potini seinen handfesten Denkzettel bekommen müßte, das leuchtete jedem ein. Aber wie? Darüber hatte sich keiner der Jungen Gedanken gemacht.
Wohl drei Minuten mochten vergangen sein, seitdem sich Alibaba gesetzt hatte. Drei lange Minuten. Ohne daß jemand auch nur ein Wort gesprochen hätte.
„Ich warte auf eure Vorschläge
Wenn nur dieser Harald dagewesen wäre. Alibaba wußte im Grunde selbst nicht, was zu tun war. Hätte es sich um einen Jungen gehandelt, der nur einigermaßen so kräftig gewesen wäre wie er, dann hätte er ihn ganz einfach verprügelt. Aber dieses ärmliche Kerlchen da... Es war wirklich zum Verzweifeln. Harald hätte vielleicht einen Ausweg gewußt.
„In einem Film hab’ ich mal gesehen meinte jetzt Sam — “es war ein Film, der unter Cowboys spielte, da wurde einer auf ein Faß gebunden, wie auf ein Pferd, und in dem Faß war Dynamit drin —“
Alibaba sah den Negerjungen nur an, und da schwieg er auch schon. „Habt ihr schon mal was vom ,Kielholen’ gehört“, fragte jetzt Brille.
„Was ist das?“ wollte Alibaba wissen.
„Vermutlich ist die Geschichte nicht ganz neu. Sie war üblich in der Zeit der Seeräuber. Wenn damals an Bord einer die Wache verschlafen hat, oder einem anderen die Wasserration klaute oder sich sonst eine Schweinerei erlaubte, dann wurde er ganz einfach ,kielgeholt’. Das war damals eine glatte, einfache Sache: Man band den Delinquenten an ein Tau und zog ihn unter dem fahrenden Schiff und unter dem Kiel durchs Wasser. Hatte er Glück, lebte er noch, wenn er drüben wieder hochkam. Manchen geht nämlich die Puste dabei aus. Und dann waren da noch so komische Fischchen im Wasser, die verdammt Appetit auf
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