Die Fuenfzig vom Abendblatt
ich es kann, den richtigen Beruf für euch zu finden. Macht aber schon früh genug auch selbst die Augen auf. Unser Abendblatt ist zum Beispiel schon eine sehr vielseitige Sache und bietet euch eine Menge Möglichkeiten — Ihr sollt einmal sagen können, so wie ich es auch von mir sagen kann: Am Anfang habe ich eigentlich nur auf der Straße gestanden und war gerade noch zu gebrauchen, um Zeitungen durch die Stadt zu kutschieren. Aber ich habe dann was gelernt und habe es geschafft, daß ich heute das oder das geworden bin. Solange ihr aber Zeitungen ausfahrt, macht das mit dem Ehrgeiz und macht es richtig. Denn alles, was ihr anpackt, auch wenn es die einfachste Sache von der Welt ist, müßt ihr so anpacken, daß ihr immer Grund habt, mit euch selbst zufrieden zu sein.“
Natürlich wäre es für das Abendblatt einfacher gewesen, es genauso zu halten wie etwa der Nachtexpreß. Solange die Zeitungen jeden Abend rechtzeitig zu den Kiosken und zu den Händlern kamen, war ja alles in bester Ordnung. Die Jungen würden dann eben Zeitungen ausfahren, solange sie Lust hatten. Sie würden auch noch auf ihren Fahrrädern sitzen, wenn sie schon Männer wären und Frau und Kinder hätten.
Solange der Verlag noch im Aufbau war, diente der allgemeine Aufenthaltsraum auch für den Unterricht. Aber im Neubau, der im Herbst bezugsfertig sein sollte, gab es dann für die Horde ein ganzes Stockwerk. Sogar Wohn- und Schlafräume waren in Aussicht genommen, weil ein Teil der Jungen elternlos war.
Studienrat Bernauer hatte bisher zuerst in einem Internat und dann an der Volkshochschule unterrichtet. Er war etwa vierzig Jahre alt und das, was man einen modernen Lehrer nennt. Mr. Voss hatte sich Zeit gelassen, bis er ihn gefunden hatte.
Die Einführung von Unterrichtsstunden war nicht von allen Jungen begrüßt worden. Viele waren ja zufrieden, die Schule endlich hinter sich zu haben. Und jetzt sollte es damit wieder von vorne anfangen?
Die Teilnahme war freiwillig. Das hatte Mr. Voss ausdrücklich so bestimmt. Und so gab es einige, die Studienrat Bernauer noch nie bei sich gesehen hatte. Aber um so eifriger waren die dreißig oder fünfunddreißig bei der Sache, die zu seinem festen Stamm gehörten und auf die er immer rechnen konnte. Von ihnen waren manche geradezu besessen und saugten wie ausgetrocknete Schwämme alles, was ihnen geboten wurde, in sich auf. Unter ihnen nicht zuletzt der Boß der Abendblatt-Jungen höchstpersönlich. Vollends seit er die Überlegenheit Haralds spürte.
Aber natürlich auch Brille, Klaus und Sam.
Erwin Kogge zählte mehr zur sogenannten Gruppe der „Gasthörer“. Er kam, wenn er Lust hatte. Interessierte ihn irgendeine Stunde nicht sonderlich, so konnte es passieren, daß er mitten im Unterricht aufstand und sich mit einer verbindlichen Verbeugung stillschweigend wieder davonmachte, was übrigens gestattet war.
„Der Lehrer ist nur für euch da. Ich bezahle ihn gut, und er hat jederzeit zu eurer Verfügung zu stehen. Quetscht ihn aus wie eine Zitrone! Das muß er sich gefallen lassen. Im übrigen soll er kein Schulmeister sein. Ihr könnt kommen und gehen, wann und wie ihr wollt. Er soll euch behandeln wie Erwachsene, die sich schon selbst ihre Butter aufs Brot verdienen.“
Mr. Voss sprach nicht immer sehr zartfühlend, aber er traf meist mitten ins Schwarze.
Neben diesem allgemeinen Unterricht beschäftigten sich die Jungen noch mit ihren verschiedenen Liebhabereien. Sie taten sich je nach Interesse gruppenweise zusammen, bauten Radios und Morseapparate, legten Lichtleitungen, schreinerten Bücherregale oder waren dabei, hinter dem Lagerschuppen einen regelrechten Gemüsegarten anzulegen. Von Zeit zu Zeit kam dann einmal ein Meister aus der Druckerei oder aus dem Maschinensaal, um von seiner Arbeit zu erzählen. Aber auch Redakteure oder Mitarbeiter der jeweiligen Schriftleitungen wurden beauftragt, so als ob sie einen Artikel zu schreiben hätten. Von ihnen hörte die Horde dann über Expeditionen in die Arktis und über fremde Indianerstämme, sie erfuhr, was eine Schallmauer ist, wo der Jazz herkommt und was die Atomkraft bedeutet. Im Hause einer Zeitung kommen ja die verschiedensten Experten zusammen, und es war also nicht schwer, immer wieder jemanden zu finden, der mit seinem Vortrag den Jungen etwas Neues zu bieten hatte.
Trug sich aber irgendeine Abteilung oder eine Werkstätte des Hauses mit dem Gedanken, wieder einmal einen Lehrling einzustellen, so kamen die Abteilungsleiter
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