Die Fuenfzig vom Abendblatt
und Meister zuerst zu den Jungen, um zu fragen, ob einer von ihnen Lust verspüre, in der Buchhaltung, bei der Fernsprechvermittlung, im Fotolaboratorium, in der Klischieranstalt, in der Druckerei oder an einer der Setzmaschinen sein Glück zu versuchen.
Es gab also durchaus die Möglichkeit, nach den zwei Jahren, die Mr. Voss bis zur Wahl eines Berufes eingeräumt hatte, auch weiterhin beim Abendblatt zu bleiben.
Studienrat Bernauer war heute gerade dabei, den Jungen etwas von den griechischen Helden- und Göttersagen zu erzählen. Sie hatten sich zuvor ausgiebig über das Stück Land unterhalten, das da als Spitze der Balkanhalbinsel ins Mittelmeer stößt. Man hatte sich Bilder vom Kanal von Korinth und vom Peloponnes angeschaut. Und als dann von den Menschen die Rede gewesen war, die dort heute ihre Äcker bestellen und ihre Weintrauben züchten, da hatte dann plötzlich einer gefragt, was es denn eigentlich mit all den Ruinen, den alten Säulen und Tempeln auf sich hätte, die man immer fotografiert sähe und die immer erwähnt würden, wenn von Griechenland die Rede ist. Da hatte dann Studienrat Bernauer tief Luft geholt und hatte angefangen, von Prometheus zu erzählen, den Göttervater Zeus an einen Felsen schmieden ließ, und wie dem Beherrscher des Olymp zu Ehren viele Tempel gebaut wurden.
Studienrat Bernauer war mit der Horde gerade auf Kolonos in den Hain der Eumeniden hineinspaziert, und der arme alte König Ödipus schickte sich eben an, unter Blitz und Donner in die Unterwelt einzugehen, da betrat Alibaba den Raum und setzte sich stillschweigend auf seinen Platz. Doch der junge Studienrat hatte ihn bemerkt, und er schwieg eine kurze Weile. Er überlegte unwillkürlich, weswegen der Rothaarige wohl so spät käme, da er im allgemeinen doch stets einer der Pünktlichsten war. Aber dann wandte er sich wieder seinem Thema zu. Die Jungen aber hatten sich an dem kurzen Schweigen nicht gestört. Sie fanden es durchaus verständlich, wenn man bei der tieftraurigen Geschichte dieser Dame Antigone Rührung verspürte und sich eine Pause gönnte.
Alibaba aber, bevor auch er sich ganz den Erzählungen Dr. Bernauers hingab, wandte den Kopf zur Seite. Unweit von ihm saß Harald. Er flüsterte dem Jungen ins Ohr, daß er pünktlich um drei Uhr von Chefredakteur Sprinter im Büro erwartet würde. Dabei behielt er den Jungen im Auge, um zu sehen, wie er die Nachricht aufnehme.
Aber Harald Madelung nickte nur stumm mit dem Kopf, ln seinem Gesicht war nicht die geringste Veränderung zu erkennen. Hätte er erfahren, daß es heute zum Mittagessen an Stelle von Kartoffelsuppe Erbsenbrei gibt, er hätte auch nicht gleichgültiger reagieren können. Dabei bedeutete es doch etwas, wenn man vom Chefredakteur der Zeitung zu sich bestellt wurde. Aus diesem Neuen sollte schlau werden, wer da wollte. Er, Alibaba, schaffte es noch nicht.
0:1 für Harald
Die Hitze hatte die Menschen von den Straßen vertrieben. Über den Hansaplatz fuhren nur noch vereinzelte Autos, und die Pferde, die drüben vor einem Restaurant warteten und wohl einer Brauerei gehörten, ließen die Köpfe hängen.
Auch vor dem Hochhaus des Abendblattes war weit und breit kein Mensch zu sehen. Die großen Fenster des Verlagsgebäudes waren zumeist weit aufgesperrt, und aus dem Inneren der Räume war das feine Surren mehrerer Ventilatoren zu hören. In der klaren Luft und vor dem eintönig blauen Himmel hob sich die obere Kante der Fassade des Gebäudes scharf ab und ließ den Bau in seinem zwölften Stockwerk wie abgeschnitten erscheinen.
Nur Josuah stand wie zu allen Tagen in vollem Schmuck seiner dunkelroten Portiersuniform auf den weißen Marmorstufen vor dem Hauptportal mitten in der Sonne. Er hatte seine Hände hinter den breiten Rücken gelegt und war in seiner Größe und mit seiner fast gänzlich schwarzen Haut ein wirklich imponierender Wächter.
Ihn störte die Hitze weiter nicht. Er war ja von jung auf noch ganz andere Temperaturen gewohnt. Er hatte sogar seinen langen, überhängenden Mantel anbehalten, offensichtlich, um seiner Geringschätzung gegenüber der allgemeinen Anfälligkeit bei diesem Klima Ausdruck zu verleihen.
Josuah schneuzte sich gerade in ein auffallend großes Taschentuch, als einer der Abendblatt-Jungen aus dem Gebäude trat und auf ihn zukam.
Harald hatte einen Brief in der Hand und bat den Neger, ihn an Mr. Voss weiterzugeben.
Josuah glaubte im ersten Augenblick, nicht richtig gehört zu haben. „Wie bitte? Für
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