Die Fuenfzig vom Abendblatt
Weltkrieg verloren hatten. Oder vielleicht gerade deshalb.
Von einer Stunde zur anderen, so wie er immer seine Entschlüsse faßte, traf er auch die Entscheidung für seine Rückkehr.
Seine Frau und seinen inzwischen fünfjährigen Jungen ließ er vorerst noch drüben.
Es war zwei Jahre nach dem Krieg, und Deutschland fing erst allmählich an, wieder aus der Betäubung zu erwachen, in die es sich und andere Länder gestürzt hatte. Mister Voss reiste kreuz und quer. Er sah die endlosen Trümmerlandschaften in Berlin und in vielen anderen Städten. Und weil er die Verhältnisse aus dem Blickpunkt des Mannes auf der Straße kennenlernen wollte, machte er um alle großen Hotels, die schon wieder geöffnet hatten, einen großen Bogen und wohnte eigentlich nur in kleinen Pensionen und möblierten Zimmern.
Eines Tages aber war es mit dem Reisen vorbei. Er hatte gefunden, was er suchte. Eine große Stadt im Norden und die Ruinen eines Verlagshauses, das sich wieder aufzubauen lohnte. Er machte sich an die Arbeit, und nach einem Jahr hatte er erreicht, was schon immer sein Traum gewesen war: eine eigene Zeitung.
Der „Mister“ vor seinem Namen war ihm von damals bis heute geblieben. Zwanzig Jahre lassen sich nicht ablegen wie ein Hemd oder ein Paar Handschuhe. Und er wollte sie auch gar nicht ablegen. Er war fest entschlossen, alles beizubehalten, was ihm drüben gut und zweckmäßig erschienen war. Und so kam es, daß wohl jeder Leser des Abendblatts, jeder Besucher, der in dieses Gebäude trat — angefangen vom Portier Josuah am Eingangsportal — , daß jeder, der vor allem mit Mr. Voss persönlich zu tun hatte, von einer gewissen selbstverständlichen Natürlichkeit angesprochen wurde, die anfänglich ungewohnt erschien, dann aber befreit aufatmen ließ.
Bei diesem Manne war nichts gezwungen oder gekünstelt. Alles an ihm schien selbstverständlich. Es wäre ihm unmöglich gewesen, irgendeines Zugeständnisses wegen auch nur eine Krawatte umzubinden, die ihm nicht gefallen hätte. Er war wie ein Berg, der bestiegen werden mußte. Er kam niemandem entgegen.
Mr. Voss wandte sich jetzt wieder seinem Chefredakteur zu. Der Rauch seiner Brasil stand in kleinen hellen Wölkchen neben ihm in der Luft.
„Ich werde jedenfalls diese Warenhausmethoden nicht mitmachen! Vorerst glaube ich noch an unsere Leser und an ihren guten Geschmack. Qualität setzt sich durch, ob es sich nur um eine Schuhwichse handelt oder um eine Zeitung. Cheer up! Soll der Nachtexpreß Freibilletts für den Zirkus Bertoldi verteilen, soviel er will. Ich meinerseits erhöhe den Etat für Ihre Redaktion. Wir wollen alles versuchen, unser Abendblatt noch farbiger, noch interessanter zu machen. Dafür bin ich jederzeit zu haben. Suchen Sie fixe Kerle, die wir meinetwegen in alle Welt schicken, damit sie uns die tollsten Fotos und die interessantesten Berichte auf den Redaktionstisch knallen. Sie sollen nicht schlecht bezahlt sein! Wir wollen nicht stillstehen, Sprinter. Wer liegenbleibt, wird ausgezählt!“
Chefredakteur Sprinter schlug in seinem tiefen Ledersessel die Beine übereinander und nahm einen Zug aus seiner Pfeife.
„Einverstanden, Chef. Alle Möglichkeiten zur Arbeit zu haben — das ist so etwas wie ein Märchen für den Journalisten! Wir sind zweiundvierzig Mann in der Redaktion, und dank ihrer Auswahl ist keiner von uns auf den Kopf gefallen. Wir werden Sie nicht enttäuschen!“
„Welche Auflage hatten wir letzte Woche?“ — Mr. Voss waren leidenschaftliche Erklärungen peinlich. So war die Frage, die er an Sprinter stellte, so etwas wie ein Ausweichen. Denn selbstverständlich wurde er täglich über die Auflagenhöhe seines Blattes genau informiert.
Er war wieder hinter seinen breiten Schreibtisch getreten, der nun wie eine hölzerne Festung vor ihm lag.
„Durchschnittlich siebenhunderttausend. Mal zehntausend mehr — mal zehntausend weniger Mr. Voss hatte sich wieder gesetzt und irgendwelche Papiere zur Hand genommen. „Im Herbst müssen wir auf einer
Million sein.“ Er griff nach seinem Füllfederhalter. „Wir sehen uns am Nachmittag bei der Redaktionsbesprechung — so long!“
Als Sprinter gegangen war, drückte Mr. Voss den Knopf des Sprechgerätes. „Meinen Wagen, Fräulein Weißmüller, ich bin für zwei Stunden unterwegs — nicht erreichbar
Er wollte schon wieder abschalten, da meldete sich noch die Stimme seiner Sekretärin: „Einer von den Jungen möchte Sie sprechen, Mr. Voss. Darf ich ihm sagen,
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