Die Gabe der Magie
zu lassen,
doch nun wollte ich etwas ganz anderes hervorbringen.
Ich konzentrierte
mich und erinnerte mich an die Far be, den Geruch, das Gefühl der
weichen, cremefarbenen Sei fe, die die Diener meines Vaters herstellten.
Dann trat ich vor und berührte den Stein. Es blitzte, und ich griff mir die
Seife, drehte mich um und lief schnell davon. Ich ging an Gerrard vorbei in die
entgegengesetzte Richtung und versteckte die Seife in den Falten meines
Umhangs. Gerrard würdigte mich keines Blickes, und kaum war ich um die erste
Ecke gebogen, rannte ich den Rest des Weges.
DAS WASSER WAR EISIG KALT, UND DER RAUE
WASCHLAPPEN SCHMERZTE, ALS ICH MICH MIT IHM SCHRUBBTE und den Stoff immer und immer wieder ausspülte. Schwerer war es,
meine Haare zu waschen, und ich hatte auch keinen Kamm. So musste ich meine
Finger durch das Gewirr ziehen, was schmerzhaft war. Aber nichts davon störte
mich. Es war ein erhebendes Gefühl, meinen eigenen Gestank den Abfluss
hinabzuspülen.
Als ich fertig war, fühlte ich mich, als
sei ich wieder lebendig und wieder ich selbst. Aber als ich mich zu meinem Bett
umdrehte, um meinen Umhang zu waschen, war er nicht da. Ich starrte auf den
zusammengelegten grünen, der seinen Platz eingenommen hatte. Wussten die Zauberer,
was jeder Einzelne von uns hatte entstehen lassen? Mein Magen verkrampfte sich
bei diesem Gedanken. War es ihnen also klar, dass ich Nahrungsmittel
versteckte? Würden sie mich dafür bestrafen, selbst nachdem ich nun von ihnen
belohnt worden war, weil ich die Seife hervorgebracht hatte? Oder würde sich
unter diesem Umhang die Haut lösen oder der Stoff in Flammen aufgehen oder …
Meine Gedanken tobten in meinem Schädel,
und ich beruhigte sie mit dem dritten Atemmuster. Dann streckte ich ganz
langsam meine Hand aus und berührte den grünen Stoff. Dieser Umhang war so viel
weicher als mein alter, und er war sauber. Ich zog ihn an, und während ich dort
stand und meine Hände darübergleiten ließ, kam Gerrard herein.
Er sah den Umhang, fluchte und stürmte
wieder hinaus, die Tür so fest hinter sich zuschlagend, dass es von den
Steinwänden hallte. Ich machte einen Schritt vorwärts und hatte das Gefühl, dass
ich ihm folgen und etwas sagen sollte. Doch dann blieb ich stehen. Was konnte
ich schon anführen? Dass es mir leidtat? Der weiche, saubere Stoff strich über
meine Knöchel, und mir fiel auf, dass mein alter Umhang ebenfalls so lang
gewesen war, als ich ihn bekommen hatte. Ich erinnerte mich daran, dass ich auf
den Saum getreten war. Als ich ihn zum letzten Mal getragen hatte, war er nur
noch bis zur Mitte der Waden gefallen. War ich so viel gewachsen? Verdammt noch
mal. Wie lange war ich eigentlich schon hier?
51
SADIMA HATTE RINKA ÜBERREDET,
OLIVENSTÜCKCHEN UND ROTE PAPRIKA IN DEN KÄSE ZU MISCHEN, UND DIE Leute liebten es. Rinkas Geschäft blühte, und sie bezahlte Sadima
jede Woche mehr. Inzwischen waren es neun Münzen. Vier davon gab Sadima immer
Franklin ab, den Rest behielt sie. Sie hatte sich eine gute Haarbürste und ein
zweites Paar Schuhe gekauft, das sie im Laden tragen konnte. Diese ließ sie
jede Nacht im Hinterzimmer zurück und lief in ihrem ersten Paar heim, damit
Somiss nichts auffiel. Eines Abends auf dem Weg nach Hause traf sie eine
Entscheidung.
Sie hatte bereits damit angefangen, ihre
gesparten Münzen in einem ausgewaschenen Honigtopf aufzubewahren, der am Regler
des Abzugsrohres hinten am Herd hing. Sie liebte Franklin. Und sie konnte nicht
gehen, nicht mit ihm und nicht ohne ihn. Noch nicht. Aber sie konnte die
Vorbereitungen vorantreiben. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden
Abend ganz leise von Rinka zurückzukommen und Somiss aufmerksam dabei zu
belauschen, wie er die Lieder laut sang, ehe sie sich an ihre eigenen Abschriften
setzte.
Franklin ließ immer einen Stapel mit
fertigen Kopien von seiner Arbeit am frühen Morgen zurück, und beinahe immer wartete
ein weiterer Berg auf Sadima, den sie abzutragen hatte, wenn sie nach Hause gekommen
war. Manchmal handelte es sich um Gesprächsnotizen und neue Lieder – oder eine
neue Version von einem, das sie bereits gesammelt hatten –, die vorgetragen und
festgehalten worden waren. Hannah war zurückgekommen, ebenso wie viele andere.
Sadima hatte damit angefangen, eine
zusätzliche Abschrift eines jeden neuen Dokumentes anzufertigen, die sie in
ihrem Schultertuchbündel aufbewahrte, bis sie sie am nächsten Tag mit zur
Arbeit nehmen konnte. Sie wusste, was Somiss ihr
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