Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
Vom Netzwerk:
die Zauberer mich nicht finden konnten, war ausgesprochen
aufregend.
    Später sann ich über die Zauberer nach,
die uns jeden Tag zum Unterricht brachten. Taten sie das Gleiche? Wie sollten
sie es nicht tun? Hatte je einer von ihnen versucht, eine Frau im
Speisesaal erscheinen zu lassen? Ich musste lachen bei der Vorstellung, was
dann passieren würde, doch ich verstummte rasch.
    War es möglich, etwas anderes als Essen zu
erschaffen? Konnte ich alles entstehen lassen, was ich mir nur detailliert
genug vorstellen konnte? Ich kroch aus der Halle der Hoffnung und lief den
Tunnel hinunter, ehe ich bemerkte, welchen Weg ich eingeschlagen hatte. Als ich
im Speisesaal ankam, saß Levin an einem der Tische und aß mit den Händen – er
hatte noch immer kein Besteck. Wir schauten einander an. Seine Augen waren rot,
und ich fragte mich, ob er die Trauer noch nicht überwunden hatte. Oder hatte
er zu viele Stunden in seinem Geschichtsbuch gelesen?
    Dieses Buch war einfach langweilig.
Gewöhnlich schlief ich ein, wenn ich versuchte, die großartigen Errungenschaften
des Gründers durchzuarbeiten. Seine Übersetzungsmethoden wurden in allen Einzelheiten
in dem Buch erklärt und waren doch schwer nachzuvollziehen. Es ging darum, Vokale zu zählen, Hunderte Versionen der alten Lieder zu
vergleichen und manche Wörter Tausende von Malen vor sich hinzusprechen, um zu
prüfen, ob sich die Wörter im Laufe der Zeit vielleicht verändert hatten. Und
die ganze Zeit über musste der Gründer seiner königlichen Familie aus dem Weg
gehen. Alle Mitglieder waren sehr neidisch auf ihn und auf seinen Verstand.
    Dann hatte sich eine Zigeunerin in ihn
verliebt, weil er ihr Kind vor dem Tod gerettet hatte, und sie stahl ihrem Vater
ein uraltes Buch, um es dem Gründer zu übergeben. Mir dämmerte, dass die alte
Sprache, über die der Geschichtstext berichtete, dieselbe war, in der die Lieder
der Ältesten verfasst waren. Wenn der Gründer so hart daran gearbeitet
hatte, die Sprache zu übersetzen, warum mussten wir sie denn dann lernen?
    Plötzlich bemerkte ich, dass Levin mich
anstarrte. Ich schaute zu den Wänden, dann zurück zu ihm, und hob die
Augenbrauen ein Stück. Er schüttelte den Kopf mit der kaum merklichen Bewegung,
die wir uns alle angewöhnt hatten. Niemand außer uns war hier.
    »Bei dir alles in Ordnung?«, fragte ich
leise, ohne mir überlegt zu haben, was ich sagen wollte.
    Levin machte mit einer Hand eine knappe
Geste. Er winkte mich näher, und ich gehorchte. Ich stellte mich in einem
Winkel zu ihm, sodass ich mich umdrehen und zum Stein abbiegen konnte, sollte
irgendjemand den Raum betreten.
    »Luke hasst dich«, flüsterte er, als ich
nahe genug gekommen war, um ihn zu hören. »Sei vorsichtig.«
    Ich bedachte ihn mit einem winzigen, kaum
sichtbaren Kopfnicken, wie es bei uns üblich war.
    »Warum?«, flüsterte ich.
    Levin sah sich um. »Dein Vater hat seinen
betrogen.«
    Seit den ersten paar Unterrichtsstunden
hatten wir nicht mehr so viele Worte gewechselt. Er setzte viel aufs Spiel,
wenn er so mit mir sprach. Dankbar und zornig zugleich ging ich später davon.
    Das passte. Das passte einfach. Mein Vater
hatte mich gezwungen, hierherzukommen, obwohl er wusste, dass er mich niemals
wiedersehen würde. Und nun hasste mich mein gefährlichster Klassenkamerad, weil
mein Vater unehrlich gewesen war.
    Ich hörte gedämpfte Schritte und wusste,
dass Levin den Raum verlassen hatte. Zuerst wollte ich mich umdrehen und ihm
etwas zum Abschied zurufen, ihm danken oder irgendetwas sagen, aber das tat ich
natürlich nicht. Stattdessen stand ich dort und starrte auf den monströsen,
geschliffenen Edelstein vor mir, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Es musste
einen Weg hinaus geben. Vielleicht, wenn ich nur lange genug den richtigen
Tunnel entlangging, würde ich draußen im Sonnenschein wieder herauskommen.
    Der Gedanke ließ meinen ganzen Körper
zittern. Dann traf mich eine andere Überlegung wie ein Schlag: Es musste einen
Weg nach draußen geben. Und es könnte sich auch um fünfzig Ausgänge handeln. Es
musste Luftschächte geben, und es waren Abflüsse vorhanden, die unser
Waschwasser wegspülten. War das der Grund, warum sie uns verängstigt, hungrig
und verdreckt hielten? Damit wir gar nicht erst auf die Idee kamen, nach einem
Fluchtweg zu suchen?
    Ich fuhr mir mit einer Hand durch das Haar
und bemerkte, wie verfilzt und wie schmutzig es sich anfühlte. Ich war
hierhergekommen, weil ich vorgehabt hatte, ein Kopfkissen entstehen

Weitere Kostenlose Bücher