Die Gabe der Magie
die Luft aus. »Nicht einmal
ich. Nicht, seitdem wir das Haus seines Vaters verlassen haben.«
Sadima zuckte mit den Schultern. »Dann
werde ich Wasser holen gehen. Das Fass ist beinahe leer. Sieben Blöcke nach
Westen, dann fünf nach Norden, hat Somiss gesagt.«
Franklin schüttelte den Kopf. »Er hat in
seinem ganzen Leben noch nie Wasser geholt. Es gibt einen anderen Brunnen, der
viel näher liegt, den werde ich dir zeigen.«
»Du solltest lieber weiter abschreiben«,
antwortete sie und machte mit der Hand eine Bewegung, als wolle sie ihn davonscheuchen.
Doch in Wahrheit hoffte sie, er würde darauf bestehen, dass sie gemeinsam gingen.
Und das tat er auch.
Auf ihrem Weg nach draußen sprach die
Vermieterin sie im Flur an. Franklin beschleunigte den Schritt und zog Sadima
mit sich, während er Mrs. Terret zurief, dass Somiss die Miete schon bald würde
begleichen können. Beinahe rannten sie hinaus auf die Straße. Franklin wandte
sich nach Osten und eilte weiter. Nach einem halben Block legte Sadima den Kopf
schief und hob die Augenbrauen. »Ist Somiss immer zu spät mit der Miete?«
Er lachte. »Wenn du dich über etwas
wunderst, dann rümpfst du die Nase.«
Sadima spürte, wie ihre Wangen glühten.
Franklin reichte ihr einen der leeren Eimer und legte seinen nun freien Arm um
sie. Ihre Schritte passten sich einander an.
»Du siehst aber trotz allem ganz reizend
aus«, sagte er, und als sie aufsah, bemerkte sie, dass nun er errötet war.
Sie lehnte sich gegen ihn, und sie liefen
jetzt rascher, ohne ein Wort zu wechseln,
bis sie zu einer Gasse ka men. Franklin führte sie hindurch, dann über
eine schmale Straße und zwischen zwei Gebäuden hindurch. Als sie aus der engen
Passage traten, entdeckte Sadima eine Schlange von Menschen quer über der
Straße, alle mit Eimern in der Hand.
»Siehst du? Dieser ist viel näher.«
»Und meine Frage?«, erinnerte sie ihn. »In
den Geschichten sind die Mitglieder des Königshauses immer reich.«
Er nickte, während sie über das
Kopfsteinpflaster liefen.
»Seine Familie ist sehr reich. Sein Vater
hat aus einem kleinen Vermögen ein großes gemacht. Aber es ist seine Mutter,
die ihm das Geld für seine Arbeit gibt. Sie hateinen Großteil des
Vermögens ihrer eigenen Mutter geerbt. Geld also ist nicht das Problem. Es ist
eher die Schwierigkeit für Somiss, einen Weg zu finden, sich mit ihr zu
treffen, um es in Empfang zu nehmen. Und sie beide fürchten, dass sein Vater es
herausfinden könnte. Er wäre außer sich vor Zorn.«
Sadima wurde langsamer, um einen Schritt
auf den Bürgersteig zu machen. »Warum?«
Franklin sah verwirrt aus. »Weil er fürchtet,
der König könnte herausfinden, was sein Sohn so treibt.«
Sadima fragte, warum es irgendeinen König
kümmern sollte, ob Somiss Unsinnsverse in einer Sprache niederschrieb, die
niemand verstand. Dann dachte sie an die alten Geschichten, die Micah und
Mattie Han ihr erzählt hatten. In den Geschichten von Zauberern gab es keine
Könige. Und umgekehrt. Sie fragte Franklin, was das zu bedeuten hatte.
»Genau das ist es ja, Sadima, genau das.
Es gibt Geschichten über Könige, die über alles herrschen, und dann gibt es die
Geschichten von mächtigen Zauberern. Somiss ist sich nicht ganz sicher, was das
zu bedeuten hat, welche Geschichten die ältesten sind, oder welche davon
stimmen, wenn es denn überhaupt welche gibt, die wahr sind. Aber es ist leicht
zu verstehen, warum die Könige nicht wollen, dass es Zauberer auf der Welt
gibt. Man muss nur ein wenig nachdenken.«
Sadima nickte. Das ergab einen Sinn. Und
sie begann sich unbehaglich zu fühlen.
»Ich will nicht, dass
du das allein machst«, sagte Franklin, als sie ihren Platz am Ende der Schlange
einnahmen. »Die Eimer sind noch schwerer, wenn sie erst voll sind.«
Sadima lächelte ihn an. »Ich bin viel
stärker, als du glaubst. Ich habe mein ganzes Leben auf einer Farm verbracht,
Franklin.«
»Ich erinnere mich noch daran, wie
erstaunt ich war, dass du alle vier Ziegenjunge tragen konntest«, sagte er über
die Schulter hinweg und bewegte sich einen Schritt nach vorne, wenn die Reihe
weiterrückte. »Du warst da noch so klein und so schlank wie ein Grashalm.«
»Meinst du, Somiss würde einen Rat
annehmen?«, fragte sie. Er wandte sich ihr zu und lauschte aufmerksam, als sie
beschrieb, wie Somiss kaum mit den Menschen gesprochen hatte, die zu ihm kamen,
und wie er niemals danach fragte, wann sie die Verse aufsagten, und was die
Lieder zu bedeuten
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