Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
daß sie zu den Wilderern gehören und so weiter!"
"Nichts dagegen einzuwenden", erwiderte Tom. In der weißen Einöde verlor man nach kurzem das Gefühl für Zeit. Diese kalte Winterlandschaft vermittelte einem den Eindruck vollkommener Einsamkeit. Und das laut ratternde Kettenfahrzeug kam einem vor wie ein unbefugter Eindringling, der sich besser nicht in diese Stille vorgewagt hätte...
"Was wissen Sie über Uksakis?" fragte ich Sergej irgendwann, während der Wildhüter mit einem Fernrohr die Umgebung beobachtete.
"Ein Mythos", sagte er schnell. "Eine Legende..." Er nahm das Fernglas von den Augen und sah mich an. "Aber Sie scheinen für so etwas ein besonderes Interesse zu haben, Patricia!"
"Ja, das ist allerdings wahr! Glauben Sie, daß man mit den zerriebenen Knochen eines Tigers einen solchen Geister-Tiger beschwören kann?"
"Bei den sibirischen Nomaden ist dieser Glaube verbreitet", sagte Sergej.
"Ich wollte Ihre Ansicht dazu hören, Sergej!"
"Ich bin nicht wichtig, Patricia..."
Er schien nicht weiter darüber reden zu wollen. Ich schnitt das Thema während der folgenden Stunden auch nicht noch einmal an.
Dann, irgendwann, als die Sonne hoch am Horizont stand und ich mir eine Sonnenbrille aufsetzte, um nicht schneeblind zu werden, rief Sergej dem Fahrer des Kettenfahrzeugs etwas zu, woraufhin das Fahrzeug derart abrupt stoppte, daß wir alle durcheinandergewirbelt wurden. Ich landete in Toms starken Armen, der mich festhielt.
"Alles in Ordnung?" fragte er.
"Wenn ich jetzt ja sage, läßt du mich gleich wieder los, deshalb sage ich wohl besser etwas anderes", erwiderte ich. Unter anderen Umständen hätten sich unsere Lippen in der nächsten Sekunde zu einem Kuß voller Leidenschaft getroffen. Aber wenn man nicht nur Zuschauer dabei hatte, sondern diese einem auch noch ziemlich nah auf den Pelz rückten, verging einem der Sinn danach.
Sergej meldete sich zu Wort.
"Ich habe etwas, was Sie mit Ihrer Kamera ablichten können, Tom!" meinte er. "Etwas, das Sie interessieren wird. Tigerspuren..."
*
Wir sprangen vom Wagen herunter. Bis zu den Knöcheln sank ich mit den Stiefeln in den Schnee. Schnee, der glatt und weiß war. Niemand war hier hergelaufen, seit er gefallen war und dieses Land bedeckt hatte.
"Da sind die Spuren", sagte Sergej. "Für die Wilderer ist es dadurch im Winter besonders leicht, den Tieren zu folgen und sie zu erlegen..."
Sergej sprach nicht weiter.
Er schluckte, blickte sich um, so als suchte er irgend etwas. Seine Augenbrauen waren zu einer Schlangenlinie zusammengezogen.
Irgend etwas ist nicht so, wie es sein sollte! durchzuckte es mich.
Tom trat vor.
Er deutete auf den Beginn der Spur.
"Finden Sie das nicht seltsam?" meinte er.
"Was?"
"Es macht den Anschein, als ob die Spur plötzlich aus dem Nichts auftauchen würde... Woher kam das Tier?"
"Es hat zwischendurch geschneit...", gab Sergej zu bedenken. "Die ganze Nacht..."
Tom beugte sich nieder. Er kniete in den Schnee und betastete die Spuren. Eine Szene, die ich mit Verwunderung beobachtete. Er wirkt, als hätte er das schon oft getan! ging es mir durch den Kopf.
Er schüttelte den Kopf, während sein Blick nach wie vor starr auf die Spuren gerichtet war.
"Nein", sagte er. "Die Spuren sind zu frisch..." Sergej staunte.
"Sie kennen sich aus?" meinte er mit ironischem Unterton. Dann nahm er das Fernglas, das er um den Hals trug und beobachtete damit die Umgebung. Die Spuren führten auf ein nahes Waldstück zu.
Tom folgte ihnen. Mit schnellen Schritten stapfte er durch den Schnee. Im selben Moment spürte ich einen mentalen Druck. Ein dumpfes Pulsieren hinter meinen Schläfen.
Die Anwesenheit einer geistigen Kraft...
Ich schauderte.
Etwas war ganz in der Nähe. Für Bruchteile von Sekunden tauchte eine verworrene Mixtur unterschiedlicher Bilder vor meinem inneren Auge auf. Ich sah die Zeichnung, die in den Mamortisch eingraviert war, den ich in der Villa der Thornhills gesehen hatte. Ich sah einen fauchenden Tiger mit glühenden Augen...
Und die Höhle...
Dann war es vorbei. Tom war schon einige Dutzend Meter in Richtung des Waldes gegangen. Er schien wie besessen von irgend einer Idee zu sein.
"Heh, Tom, was ist in Sie gefahren!" rief Sergej ihm ärgerlich hinterher. Aber Tom achtete nicht auf den Wildhüter.
Ich riß mich aus der Lethargie, die mich einige Augenblicke lang befallen hatte.
Und dann folgte ich Tom.
Ein unangenehmes Gefühl machte sich indessen in meiner Magengegend breit. Hier ganz in
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