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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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inzwischen hinter ihm die Stufen wieder hinabgestiegen und vor das Haus getreten.
    Mit einem zitternden Zeigefinger wies Odo auf das geschlossene Fenster im oberen Geschoss.
    »Die Kapelle des Architectulus!«, wiederholte er die Worte seines Sohnes und setzte schnaufend hinzu: »Von diesem Teufelswerk wird der König augenblicklich die Finger lassen, wenn er erfährt, wem er in unserem Haus Obdach geboten hat!«
    »Wem denn?«, fragte Lucas überrascht. »Sprich, Vater, was weißt du von diesem Iosefos aus Konstantinopel?«
    »Das wirst du mit allen anderen bei der Abendmahlzeit erfahren, mein Sohn«, erwiderte Odo grimmig. »Aber eines sage ich dir: Jesus wusste, dass er an diesem Tag, dem Vorabend seines Todes, das Brot mit einem Verräter brechen würde. Unser König jedoch ist ahnungslos. Deshalb hat mich der allmächtige Herrgott dazu ausersehen, ihn vor einem feigen Mörder zu warnen. Dem ich heute Abend coram publico die Maske herunterreißen werde!«

kapitel 4
    das fundament
    Der Mann wird in der Welt erkannt an seinem Handeln;
    Des Edlen, Freien Taten sind gleich seiner Art.
    Verleumde nicht, sonst wirst auch du bald gar verleumdet;
    Wer etwas sagt, dem sei das Gleiche nicht erspart!
    Aus 1001 Nacht (die 40. Nacht)
    O do hielt sich nicht mit Vorreden auf. Er nutzte das Privileg, das der König denen gewährte, die er an seine Tafel lud, erhob sich und ergriff das Wort, noch ehe die Becher mit funkelndem Falerner Wein gefüllt waren.
    »Verzeih mir, mein König«, sagte er so laut, dass auch das Gemurmel an den weiter entfernten Tischen verstummte, »unter uns sitzt ein schändlicher Meuchelmörder. Ihm sollte augenblicklich der Prozess gemacht werden.«
    Entsetzt starrte Ezra auf Odos ausgestreckten Zeigefinger, der zitternd auf ihren Vater wies. Dessen vom heißen Bad leicht gerötetes Gesicht verlor augenblicklich jegliche Farbe. Sogar die Nase war bleich geworden.
    »Pass doch auf!«, fuhr der König den Mundschenk an, der vor gespannter Neugier ein paar Tropfen Wein auf das kostbare Tischtuch verschüttet hatte.
    Dann schenkte Karl dem Ankläger seine Aufmerksamkeit.
    »Es sei meinem Baumeister verziehen, sich an meiner Tafel auf Latein geäußert zu haben, entgegen meiner wiederholten Anordnung, in unserem Kreise Fränkisch zu sprechen«, bemerkte er ebenfalls auf Latein und setzte kurz nach: »Denn er hat recht.«
    Weiter sagte er zunächst nichts. Er lehnte sich auf seinem geschnitzten Stuhl zurück und blickte in die Runde. Jeder sah ratlos von einem zum anderen. Nur Ezra hielt den Kopf gesenkt. Ihr Herzschlag hatte einen Augenblick lang ausgesetzt. Jetzt ist wirklich alles verloren, ging ihr durch den Kopf. Wir sind vor der Verdammnis geflüchtet, damit sie uns hier ereilt.
    Hilf meinem Vater, Allah, flehte sie stumm, vergib ihm, wenn er gefehlt hat. Sie klammerte sich an die Botschaft des Propheten, wonach Allah dem Muslim für eine jede Sorge, Krankheit, Bekümmernis oder Verletzung, sogar für den Stich eines Dorns, etwas von seinen Sünden fortnehme.
    Aus Worten, die im Haus ihrer Tante gefallen waren, aus Andeutungen Isaaks hatte sie sich schon längst ein Bild vom Verbrechen ihres Vaters zusammengesetzt. Doch sie mochte nicht glauben, dass er jemals fähig gewesen sein sollte, einen kaltblütigen Mord zu begehen. Als gläubiger Muslim, als den sie ihn so gern sehen wollte, bestimmt nicht, aber vielleicht früher, als er noch dem Christentum angehangen hatte? Zählte der Mord eines damals Ungläubigen an einem anderen Ungläubigen überhaupt noch vor Allahs Jüngstem Gericht? Wie würde dieser Tod im Buch der Taten gewertet werden, wie tief die göttliche Waagschale niederdrücken? Wenn ihr Vater unschuldig war, weshalb wehrte er sich nicht gegen die bösen Andeutungen?
    Durch des Königs Worte aus dem Takt gebracht, suchte Odo nach einem Neuanfang für seine so gut vorbereitete Anklage. Doch als er erneut den Mund öffnete, hob Karl die Hand.
    »Ich preise Meister Odos Höflichkeit den Gästen gegenüber, die unsere Zunge nicht verstehen«, sagte er, »und die uns später gewiss Interessantes über Ereignisse in fernen Ländern zu berichten haben.«
    »Aber … «, setzte Odo empört an.
    »… aber«, wiederholte der König mit leiser Schärfe in der Stimme, »es ist keineswegs förderlich, an diesem dies cenae domini, oder sollte ich lieber sagen: an diesem dies indulgentiae über weltliche Kümmernisse zu reden, ehe wir ein Wort aus der Heiligen Schrift gehört haben.«
    Odos ungeheure

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