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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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seine kosten.«
    Erschrocken ließ Ezra Pergament und Feder fallen. Wie würde Allah sie für ihre erneute Vermessenheit bestrafen? Hatte sie sich selbst zu seinem Werkzeug erkoren oder war sie dem alten Sprichwort gefolgt, wonach man den Arm küssen solle, den man selbst nicht brechen kann, damit Allah es tue? Ohne den beiden anderen einen Blick zu schenken, erhob sie sich und ging davon. Hastig verstaute Isaak das Bildnis in seiner Tasche, zog einen Silberdenar hervor und drückte ihn Heda in die Hand.
    »Damit wirst du eine bessere Unterkunft finden«, sagte er. »Und um Essen für dich und dein Kind brauchst du künftig keine Sorge mehr zu tragen. Das königliche Küchenhaus wird dir geben, was du brauchst.«
    Diesen Gefallen würde ihm der Seneschall gern erweisen, da war er sich sicher. Er eilte Ezra hinterher.
    »Was fällt dir ein, dich einfach davonzumachen?«, schalt er sie. »Siehst du denn nicht, was dies für eine Gegend ist? Wenn die Schatten lang werden, sollte kein anständiger Mensch allein durch diese Gassen gehen!«
    wieder im oktober 795
    Jetzt, viele Monate später, waren die Schatten auch schon ziemlich lang, und dennoch führte Lucas sie in dasselbe Viertel zurück. Die Ziegelabräumer waren ein gutes Stück weitergekommen, hatten aber Hedas Bleibe bislang noch verschont.
    »Als ich ein Kind war, wohnte hier niemand«, erzählte Lucas. »Damals konnte ich mit meinen Freunden unbekümmert in diesen Ruinen spielen. Doch dann zogen die Bauarbeiten an der Pfalz immer mehr Gesindel an. Diebe, Vagabunden, Bettler und Huren nisteten sich hier ein und machen uns seitdem viel Ärger. Heute würde ich hier nicht allein hingehen, aber zwei Männer wird man nicht so schnell überfallen, und von den Frauen wollen wir ja auch nichts …« Er stockte. »Ezra, was machst du da?«
    Natürlich gab sie keine Antwort. Er sah entgeistert zu, wie sie sich einer Frau näherte, die vor einer zusammengeflickten Ruine ihre Reize feilbot. Sein Entsetzen steigerte sich, als sich die Frau vor dem Sohn des Iosefos auf den Boden warf und seine Knie umklammerte. Ezra schüttelte den Kopf, half der Dirne wieder auf die Beine, berührte leicht den Bauch der Frau, hob die Schultern und breitete beide Arme mit den Handflächen nach oben aus.
    »Architectulus, Architectulus«, murmelte Lucas vor sich hin und trat hinzu.
    Wie hatte er sich nur so irren können! Ezra musste es faustdick hinter den Ohren haben. Im väterlichen Umfeld gab er sich als scheues, mönchartiges Geschöpf, aber insgeheim schien er es mit schmutzigen Huren in der verruchtesten Gegend der Stadt zu treiben. Deshalb also lehnte er es ab, mit Lucas das Hofgelände zu verlassen! Deshalb hatte er nicht mit ihm in einem Bett schlafen wollen, sondern auf ein eigenes Lager bestanden! Von dem er sich des Nachts heimlich davonschlich, um seinen Lüsten frönen zu können. Jetzt ergab alles einen Sinn. Auch die leere Schlafhöhle, die Lucas vorgefunden hatte, als er einmal mitten in der Nacht in die Werkstatt gegangen war, in der Hoffnung, Ezra noch wach anzutreffen, um ihm eine Idee zu unterbreiten. Er hatte damals geglaubt, sein Freund wäre nur einem natürlichen Bedürfnis gefolgt, und hatte lange wartend vergeblich ausgeharrt. Ja, Ezra war offensichtlich einem sehr natürlichen männlichen Bedürfnis gefolgt. Einem, dem er, Lucas, einer unbestimmbaren Sehnsucht zum Trotz, noch nie nachgegeben hatte. Weil er auf Gott vertraute, der ihm die rechte Gefährtin zur rechten Zeit zuführen würde; davon war er überzeugt.
    »Was willst du von meinem Freund?«, fuhr er Heda an.
    »Er ist ein Zauberer«, flüsterte die Frau.
    »Mag ja sein, dass ihm besondere Künste zu eigen sind … «, sagte Lucas ungehalten und nicht ohne Neid, »aber jetzt hat er keine Zeit für dich.«
    »Ich muss ihn etwas fragen«, drängte Heda. »Bitte übersetze für mich.«
    »Er spricht nicht.«
    »Ich weiß.« Heda deutete auf das Wachstäfelchen an Ezras Gürtel. »Er soll dir die Antwort aufschreiben. Wie bei dem anderen Mann.«
    Lucas traute seinen Ohren nicht. Das wurde ja immer besser! Hatte Ezra in diesem Haus etwa Orgien besucht?
    »Welchem anderen Mann?«, fuhr er Heda an.
    Die nickte fröhlich, als Ezra jetzt den eigenen Bauch rieb, und rannte ins Haus.
    »Du willst hier doch nicht etwa Speisen zu dir nehmen?«, fragte Lucas empört.
    Versonnen lächelnd, schüttelte Ezra den Kopf. Mit einer – wie Lucas jetzt fand – verlogenen Schüchternheit berührte sie sanft seine Lippen und

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