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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und wischte ihr den Dreck aus dem Gesicht.
    »Ezra«, wiederholte er heiser. Jetzt bebte er am ganzen Körper.
    »Niemand verletzt. Weitermachen!«, rief der Vorarbeiter seinen Maurern zu. Einige hielten seit dem dumpfen Aufprall, starr vor Entsetzen, ihre Kellen reglos in den Händen, andere waren hinabgesprungen und näherten sich neugierig der Szene neben dem Stein.
    Ezras Lider flatterten. Iosefos schlug ihr ins Gesicht.
    »Du dummes Kind!«, schalt er. »Du hättest tot sein können! Steh auf!«
    Aus leeren Augen blickte Ezra ihren Vater an, dann an ihm vorbei hinauf zu der Stelle, wo soeben noch Lucas gestanden hatte. Er war nicht mehr dort.
    Hustend setzte sie sich auf und sah sich suchend um.
    »Fort!«, bellte Iosefos sie an. »Ich will dich hier nicht mehr sehen. Lass dich von Dunja säubern. Und zeichne neue Schablonen für die Fensterlaibungen, deine letzten sind unbrauchbar.«
    Beschämt senkte Ezra die Lider. Ihr Blick fiel auf ein kleines Stück Eisen im Staub. Sie hob es auf und reichte es ihrem Vater.
    Er nahm es und musterte es fassungslos.
    »Der Splint ist gebrochen!«, brüllte er in die Höhe. »Bringt mir die Schmiede, die diesen Wolf gefertigt haben!«
    So hat mich denn fast ein unzulänglicher Wolf umgebracht, dachte Ezra benommen. Nicht das gleichnamige Tier, sondern das Gerät, mit dem Steine am Kranseil befestigt, in die Höhe gehoben und auf der Mauer abgesetzt wurden. Der Wolf bestand aus fünf einzelnen Metallteilen, die miteinander verbunden waren. Eines davon, der Splint, der den Bügel des Wolfs an jener Stelle hielt, wo der Haken befestigt war, hatte der Last des Quaders nicht standgehalten und war durchgebrochen.
    Zum Glück war es gut ausgegangen. Der Blaustein hatte niemanden erschlagen, weder Gerüst noch Tretrad beschädigt und war selbst nicht einmal zerborsten. Langsam zog sich Ezra an dem herabgestürzten Quader hoch. Iosefos schob sie ungeduldig zur Seite und inspizierte das in den Stein eingeschlagene Wolfsloch. Die drei dort eingeführten zusammengedrückten Metallteile, die in der schwalbenschwanzförmigen Lücke auseinandergehen sollten, um den Wolf zu halten, waren ebenfalls herausgefallen.
    »An die Arbeit!«, rief Iosefos. »Schafft sofort einen neuen Splint herbei! Nein, macht gleich einen neuen Wolf. Das Feuer war dem Erz nicht heiß genug. Wir können nicht warten. Der Quader muss hinauf.«
    Ja, dachte Ezra, einen Stein, der für die Mauer passt, lässt man nicht auf der Straße liegen, eine nutzlose Tochter schon eher.
    »Neue Meisterschmiede sind eingetroffen«, hörte sie, als sie mit gesenktem Haupt davonschlich. »Einer hat eine Empfehlung für dich dabei, Iosefos. Er soll Langobarde sein.«
    »Langobarde?«
    Die Stimme ihres Vaters überschlug sich. »Das wäre ja endlich mal eine gute Nachricht an diesem bösen Tag. Bringt ihn mir. Er soll sogleich einen neuen Wolf anfertigen. In wahrlich rotgelbem Feuer. Die Hauptschmiede soll augenblicklich aufheizen!«
    Ezra wandte sich um und beobachtete, wie ihr Vater einen rothaarigen Mann begrüßte.
    »Wie heißt du, Langobarde?«
    »Alboin.«
    Ein Leuchten flog über Iosefos’ Gesicht.
    »Großartig. Ein langobardischer Name. Und eine Empfehlung hast du auch noch?«
    Wahrscheinlich von einem wichtigtuerischen Höfling, dachte Ezra angewidert und schritt schneller aus. Aber sie lenkte ihre Schritte nicht in Richtung der Wohngebäude. Dunjas Blicke voller Mitgefühl würde sie jetzt ebenso wenig ertragen können wie aufmunternde Worte. Die Enge der Werkstatt würde sie nur noch mehr bedrücken und ihr die Hoffnungslosigkeit ihrer Sehnsucht deutlich vor Augen führen.
    Freu dich doch, dass du lebst, sagte sie sich, vergiss den Menschen, dem so wenig an dir gelegen ist, dass er sich nach dem Unfall nicht einmal selbst deiner Unversehrtheit vergewissern wollte. Seinetwegen könntest du tot sein; für ihn würde sich dadurch nichts ändern. Also verbanne ihn aus deinen Gedanken und höre auf, dich selbst zu bemitleiden.
    Ezra entsann sich eines alten arabischen Spruches: Der größte Reichtum ist die Vernunft, und die größte Armut ist die Dummheit.
    Höchste Zeit, dass sie dieser Armut endlich entrann!
    Sie schüttelte den Kopf, als ein Zimmermann auf sie zutrat, seine Zwölfknotenschnur vor ihr in die Höhe hielt und ihr etwas zu den künftigen Fenstern sagen wollte. Aber dafür war später auch noch Zeit; die ersten Steine für die Fensterlaibungen sollten frühestens nach dem Winter in das Mauerwerk eingelassen

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