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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wahr. Bliebe er friedlich, wäre er unsichtbar.«
    »Gerade wegen eines Wolfs bin ich hier«, murmelte Ezra. Und weil sie den dringenden Wunsch verspürte, mit diesem seltsamen Mädchen zu reden, folgte sie Gerswind durch den Wald und erzählte ihr von dem Unfall auf der Baustelle.
    »Dein Sarazenengott hat dich beschützt«, sagte Gerswind, als sie behutsam ein paar Zweige zur Seite bog. »Du hast ihm gewiss schon auf deine Weise gedankt.«
    Ezra blieb abrupt vor einem großen Felsstein mit gerundeter Kuppe stehen.
    »Was weißt du von meinem Gott?«, fragte sie verwirrt, sich nackter fühlend als soeben am Bach, denn hier sah sie ein bedeutenderes Geheimnis gelüftet als das um ihr Geschlecht.
    »Dass er dir geholfen hat«, erwiderte Gerswind und strich sanft über eine Furche im Gestein des hohen Felsens. »Mehr nicht, weil er, soweit ich weiß, nicht zu den Göttern meiner Ahnen gehört.«
    Ezra zweifelte an ihrem Latein. Hatte sie das Mädchen richtig verstanden?
    »Götter?«, hakte sie nach. »Deine Ahnen hatten Götter?«
    »Ich bin Sächsin«, sagte Gerswind leise.
    »Das kann doch nicht sein!«, versetzte Ezra heftig. »Du gehörst zum Hof, bist dem König wie eine Tochter. Der ist Christ, und die Sachsen sind seine Feinde!«
    Gegen die der König gerade wieder erfolgreich zu Felde gezogen war, wie sie vor wenigen Tagen auf der Baustelle gehört hatte. Binnen einer Woche sollte Karl wieder in Aachen eintreffen. Ezra hätte zu gern gewusst, ob auch Isaak sein Ziel erreicht hatte; ob er dem mörderischen Fredo und dem verlorenen Schatz des Kalifen auf die Spur gekommen war; ob er die weite Reise überhaupt unbeschadet überstanden hatte. Daher hielt sie während der Mahlzeiten stets die Ohren offen. Doch jeder neu eintreffende Kundschafter aus Karls Heerlager berichtete nur von allerlei Heldentaten der fränkischen Kämpfer und von Karls Begeisterung, den Sachsen so schnell das Handwerk gelegt und so viele Geiseln genommen zu haben. Isaaks Name fiel nie. Ezras Unvertrautheit mit den Höflingen und ihre eigene Sprachlosigkeit hinderten sie daran, Erkundigungen einzuziehen. Einmal hatte sie Einhard ihr Wachstäfelchen vorgehalten, auf dem sie hinter den Namen des Fernhändlers das am Karlshof vor Kurzem eingeführte Fragezeichen gestichelt hatte.
    Einhard hatte mit den Schultern gezuckt und freundlich bemerkt: »Euer jüdischer Freund wird gewiss irgendwann wiederkommen, sorge dich nicht um ihn.«
    Das war nicht die Auskunft gewesen, die sie erhofft hatte. Und die ihr Gerswind wohl auch nicht würde geben können.
    Diese antwortete jetzt auf Ezras Frage: »Ja, die Sachsen sind seine Feinde, und mein Vater war des Königs allergrößter Feind. Er hieß Widukind und führte mein Volk gegen König Karl in den Krieg. Der König hat ihn besiegt, wurde sein Taufpate und hat mich daraufhin bei sich behalten.«
    Ezra holte tief Luft, ließ sich neben dem Felsen ins Moos fallen und wiederholte still für sich Gerswinds letzten Satz. Welch tragisches Schicksal war hier in harmlos klingende Worte verpackt.
    »Du bist also eine Geisel«, flüsterte sie.
    Gerswinds Antwort klang fröhlich: »Der König nennt mich seine Beutefrau.«
    »Frau?«, rief Ezra empört. »Bist du dafür nicht zu jung?«
    Gerswind sagte zunächst nichts. Sie ließ sich neben Ezra auf den Waldboden gleiten und starrte den Felsen mit der runden Kuppe an, als könnte dieser Ezras Frage beantworten.
    »Ja«, stellte sie schließlich fest. »Ich bin zu jung, das weiß jeder, du bist ein Mädchen, und das weiß nur ich.« Sie lächelte. »Sag mir, Ezra, warum hast du gerade hier angehalten und dich niedergelassen?«
    Weil ich so erschrocken über deine Offenbarung war und nicht weitergehen konnte, wollte Ezra sagen, aber erneut sprudelten ungeplante Worte aus ihr heraus: »Es schien der richtige Ort zu sein.«
    Gerswind strahlte. »Du spürst es also auch? Dass dies eine Stätte der Macht ist?« Sie wartete nicht auf Ezras Antwort, sondern fuhr fort: »Hierhin zieht es mich, wenn ich Fragen habe, die mir die Welt nicht beantworten kann. Hier bitte ich alle Götter, die ich kenne, um Rat und Führung. Das ist mein Geheimnis, Ezra. Und jetzt habe ich eine Bitte an dich.«
    Ezra hob fragend die Augenbrauen.
    »Sag mir, wie du deinen Gott nennst. Damit auch ich ihn ehren kann. Denn er hat dir das Leben erhalten.«
    Angestrengt blickte Ezra auf den Fels, als wären in das Gestein die Namen sämtlicher Götter der Welt gemeißelt. Allah würde es nicht

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