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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ihres Koranbuchs und waren fortlaufend nummeriert. Jetzt, da sie den Umgang mit Nadel und Faden erlernt hatte, würde sie die Blätter selbst wieder zusammenbinden können.
    »Sieh her«, sagte Dunja, die das Kind inzwischen ganz ausgewickelt hatte. Vorsichtig löste sie ein schmales grünes Seidenband vom Arm des Kindes. »Gehört das nicht dir, Ezra?«
    Ihr Leseband. Ezra nahm es entgegen, strich es glatt und legte es zwischen die Seiten.
    Allah hatte ihren Schritt zu Hedas Haus gelenkt und ihr einen Teil seines Wortes zurückgegeben. Die Rückkehr des Lesebandes erschien ihr wie ein Versprechen: Bald würde das Heilige Buch wieder vollständig sein. Seine Reste befanden sich vermutlich auch in Hedas Haus. Fredo hatte ihr also nicht nur eine Seite gegeben und vielleicht auch nicht nur das von der ahnungslosen Frau für wärmend befundene übrige Papier.
    Es durchfuhr Ezra heiß und kalt.
    Sie hat ihn! Sie hat ihn! Sie hat ihn!
    Wenn nun die Schergen auf der Suche nach dem Schatz im Haus weder Gold noch Geschmeide fanden und vor Wut darüber alles niederbrannten? Sie musste zurück, musste ihren Koran retten, bevor dies geschah.
    Das Kind begann zu schreien.
    »Wo ist die Mutter?«, fragte Dunja. »Wir brauchen ihre Milch.«
    Die Mutter. Wieso hätte sie in Aachen bleiben sollen, wenn sie tatsächlich im Besitz der Reichtümer gewesen wäre, die ihnen der Kalif mitgegeben hatte? Hätte sie da ihren Beruf weiter ausgeübt und täglich am Küchenhaus um Essen nachgefragt? Nein, sie hätte mit ihrem Kind gewiss das Weite gesucht und sich anderswo in Wohlstand niedergelassen. Die Folter musste Fredo irregemacht haben. Womöglich hatte ihm das heiße Eisen die Erinnerung an das Versteck des Schatzes aus dem Kopf gebrannt.
    Aber vielleicht war es auch ganz anders gewesen. Ezra fielen die übleren Geschichten aus den Märchen ihrer Kindheit ein und geflüsterte Erzählungen der Haussklaven über Männer, die am Kalifenhof in Ungnade gefallen waren. Wer körperlichen Qualen ausgesetzt wird, schweigt nicht. Er gesteht. Sogar Dinge, derer er nicht schuldig ist. Damit der Schmerz aufhört.
    Warum hatte Heda Fredo mit derartiger Verzückung angesehen, den Mann, der nur Unheil über sie gebracht hatte? Ezra erschauerte. Vor der Narrheit der Liebe, der Unvernunft der Gefühle, der Sinnestäuschung von Träumen. Selbst angesichts seiner Schwäche hatte dieser Mann auf diese Frau noch Macht ausgeübt. Die erst schwand, als er sie verriet.
    Heda hatte gelogen.
    Ezra stürzte zu ihrer Schlafhöhle, verbarg die zurückgekehrten Koranseiten sorgfältig unter ihrem Strohsack und rannte aus der Tür. Auf der Treppe stieß sie mit einer Gestalt zusammen, die offenbar ebenso eilig hinaufwollte wie sie hinunter.
    »Das hätte übel ausgehen können«, bemerkte Isaak, als er nach gehörigem Schwanken sein Gleichgewicht wiedergewonnen hatte. »Ich grüße dich, Ezra, du plötzlich so stürmisches Geschöpf. Ist dein Vater da drinnen? Ich muss ihn dringend sprechen.«
    Ezra schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht und raufte sich das ohnehin schon gänzlich wirre Haar.
    »Was ist geschehen?«, fragte Isaak beunruhigt. »Kann ich dir helfen?«
    Ezra atmete tief aus. Eine kleine Frage, eine Floskel nur, aber sie vertrieb augenblicklich alle Ratlosigkeit und wirren Gedanken. Isaak konnte ihr helfen. Er war der Einzige, der ihr wirklich helfen konnte. Und nicht nur ihr. Ein Lächeln flog über ihr schweißnasses Gesicht. Erleichtert strich sie sich das Haar aus der Stirn. Selbst im Halbdunkel der Treppe vermeinte Isaak dort das Moschuskorn zu sehen, das ihn auf einer anderen Treppe in einer anderen Welt einst in Verzückung versetzt hatte. Stumm blieb er stehen, damit rechnend, dass sie sogleich sprechen würde.
    Sie tat es nicht.
    Doch in der Kammer bei Dunja und dem Kind konnte sie ihm mit vielen Gesten und nur wenigen Worten auf der Wachstafel die ganze Geschichte erzählen, deren Ausgang jetzt von seinem Handeln abhing.
    »Ich fasse deinen Plan zusammen«, sagte Isaak, als Ezra sich erschöpft zurücklehnte. »Erst werde ich Heda in ihrem Verließ aufsuchen. Um ihr Leben zu retten, wird sie mir verraten, wo der Schatz ist, wenn sie ihn denn tatsächlich versteckt hat. Danach statte ich diesem Fredo einen Besuch ab und behaupte hinterher öffentlich, ich wisse von ihm, wo sich der Schatz befinde. Den wir dann heben lassen, womit alles gut wird. Nein, Ezra, das Ganze hat einige Haken. Erstens müssen wir schneller als die Folterknechte sein,

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