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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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nette Frau, ruhig, immer freundlich und mit guten Manieren. Sie ging nur zusammen mit ihrem Mann aus, hing sehr an dem Kind, war meistens zu Hause. Niemand hat je Geschrei oder auch nur einen lauten Ton aus der Wohnung gehört.
    Ricciardi platzte los:
    – Also nichts als leeres Geschwätz. Alles gut, alles perfekt, keinerlei Schwierigkeiten im Leben dieser Familie. Und eines schönen Morgens kurz vor Weihnachten kreuzt jemand auf, ersticht sie, hinterlässt ein Blutbad, zerbricht den heiligen Josef aus der Krippe und verschwindet. Ein winziger Schönheitsfehler, eine kleine Abweichung im Tagesablauf sozusagen.
    Maione kommentierte bitter:
    – Ist's denn nicht immer so, Commissario? Alles läuft bestens, bis plötzlich etwas schiefläuft. Und auf der Strecke bleibt dabei die arme Kleine, die jetzt mutterseelenallein dasteht bis auf eine Tante, die Nonne ist. Sie wird bei ihr im Kloster bleiben müssen und wohl auch Nonne werden.
    – Vielleicht auch nicht, Maione. Was kannst du mir zu der Tante sagen?
    – Nichts, Commissario. Sie scheint recht kurios zu sein, nach dem, was ich aus Ferro und den Nachbarn rausgekriegt habe.
Eine kleine, energische Frau, immer in Bewegung, mit einer ungewöhnlichen Stimme, wie eine Trompete. Sie ist die ältere Schwester von Garofalos Frau, andere Geschwister gibt's nicht, auch er hatte keine. Dem Mädchen bleibt also nur diese eine Tante.

    Der Eingang zum Kloster bestand aus einer kleinen Tür in einer sehr hohen grauen Mauer und befand sich in einer Gasse hin zur Villa Nazionale. Unablässig war das Geräusch der Wellen zu hören, die gegen die Flutbrecher vor dem Strand schlugen.
    Nachdem Ricciardi und Maione sich durch ein kleines Guckloch hindurch ausgewiesen hatten, wurden sie von einer Novizin empfangen und in einen eiskalten Wartesaal geführt. Er enthielt kein einziges Möbelstück bis auf ein vor einem Madonnenbild platziertes Kniebänkchen. Durchs Fenster war ein großer Garten mit hohen, vom Wind bewegten Bäumen zu sehen; es schien ein schwaches, graues Licht herein.
    Nach ein paar Minuten, in denen Ricciardi nach draußen schaute und Maione seine Fingernägel inspizierte, öffnete sich die Tür und eine Schwester trat ein. Die Frau sagte nichts. Sie ging bis zur Mitte des Raumes, tat Maione mit einem flüchtigen Blick ab und fixierte Ricciardi. Nach einer langen Stille hüstelte Maione verlegen und sagte:
    – Guten Tag, Schwester. Mein Name ist Maione, Brigadiere Maione, und das ist Commissario Ricciardi vom mobilen Einsatzkommando des Polizeipräsidiums von Neapel. Wir suchen Schwester Veronica, die Schwester von Signora Garofalo, Costanza Garofalo. Es müsste auch ein kleines Mädchen hier sein, und …
    Ohne den Blick von Ricciardi abzuwenden, begann die Schwester zu sprechen. Ihre Stimme war quietschend und schrill, wie Kreide, die über eine Tafel kratzt.
    – Das Mädchen heißt Benedetta, sie ist meine Nichte. Ich bin Schwester Veronica vom Orden der den Schmerz der Heiligen Jungfrau lindernden Schwestern.
    Kommissar und Brigadiere wechselten einen Blick. Die Frau glich ihrer Schwester überhaupt nicht. Diese war zierlich und mittelgroß gewesen und selbst in der Totenstarre ließen sich bei ihr feine, zarte Gesichtszüge erahnen. Die Nonne hingegen war klein und dick, hatte ein rotes Gesicht und eine platte Nase. Auch die Stimme und Körperhaltung der leicht hin und her wippenden Frau machten sie zu einer eher komischen Figur.
    Um die Spannung zu brechen, ging Maione zu ihr und hielt ihr respektvoll die Hand hin:
    – Unser herzliches Beileid zum Tod Ihrer Schwester.
    Nach kurzem Zögern reichte die Nonne ihm die Hand und der Brigadiere schickte sich an, sie ihr zu küssen. Er berührte ein winziges, verschwitztes und glitschiges Etwas mit gedrungenen Fingern, die kaum aus dem Ärmel der schwarzen Tracht herausschauten. Vor lauter Ekel musste er der Versuchung widerstehen, die Hand nach einem leichten Druck wieder loszulassen. Er zog sich aus der Affäre, indem er in einigen Zentimetern Entfernung einen Kuss andeutete und dann schleunigst zurücktrat; gerne überließ er nun Ricciardi das Feld, er war schon heldenhaft genug gewesen.
    – Schwester, wir haben gestern eine Wache geschickt, um Sie zu benachrichtigen, was bei Ihrer Schwester passiert war.
    – Ja, Ihr Kollege kam genau rechtzeitig, denn ich wollte Be
nedetta gerade zurück nach Hause bringen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Mädchen bei mir schläft, ich habe in meinem Zimmer ein kleines Bett

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