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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Ricciardi näher kommen, wie üblich ohne Hut, die Hände in den Taschen vergraben und mit gesenktem Kopf. Ihr Herz war voll vertrauter Zärtlichkeit und sie beschloss, dem Schicksal ein wenig nachzuhelfen.

    In der Wirtsstube war nicht viel los. Wer Familie hatte, wollte in der Woche vor Weihnachten früh nach Hause.
    Maione und Massa setzten sich an einen Tisch in der Ecke, der etwas abseits stand, und bestellten einen halben Liter Rotwein, um sich aufzuwärmen. Der Brigadiere bemühte sich, das Eis zu brechen:
    – Wie geht es dir? Wie gesagt, Lucia und ich hatten vor, dich an Heiligabend zu uns einzuladen. Es ist alles besser geworden, weißt du, wir reden wieder, Lucia geht es gut. Sie interessiert sich wieder für die Familie. Auch die Kinder …
    – Raffaele, bitte verzeih mir. Ich muss dir etwas sagen, das dir vielleicht weh tun wird. Es tut mir leid.
    Maione schloss die Augen. Er hatte die Besorgnis im Blick seines Freundes gleich erkannt, und da er ihn zu gut kannte, war kein Irrtum möglich. Feige hatte er gehofft, dass es sich um ein Problem des anderen handeln würde; er hätte ihm dann
natürlich von ganzem Herzen geholfen, doch seinen eigenen Frieden bewahrt, diesen so zerbrechlichen, so mühsam wiedererlangten Frieden. Aber es war anders.
    – Ich habe keine Wahl, nicht? Hättest du es mir ersparen können, wärst du jetzt nicht hier. Dann hättest du für mich entschieden.
    Massa trank einen großen Schluck Wein.
    – So ist es. Aber leider hab' ich nicht das Recht dazu. Hör zu: Du weißt ja, dass ich, seit sie mich zum Chef des Sicherheitsdienstes gemacht haben, selbst keine Wache mehr in den Fluren halte. Aber die Jungs wissen, dass ich bestimmte Dinge persönlich verfolge, und berichten mir sofort alle Neuigkeiten. Letzte Woche, frag mich nicht warum, kam's zu einer Rauferei zwischen den Gefangenen, im Speisesaal. Die meisten von ihnen sind wilde Tiere, die nicht wissen wohin mit all der Gewalt, die in ihnen steckt. Oft reicht ein Blick, ein Wort, auch nur ein Unterton … was soll's, es sind ein paar Stühle durch die Luft geflogen, es hat Tritte und Fausthiebe gegeben, bis meine Leute gekommen sind und für Ruhe gesorgt haben.
    Maione wartete, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Massa fuhr fort:
    – Aber es war schon zu spät. Ein Mann war auf dem Boden liegen geblieben, er hatte einen Tritt am Kopf abgekriegt, als er hingefallen war. Man hat ihn zur Krankenstation gebracht, aber es war klar, dass er's nicht schaffen würde. Du weißt wahrscheinlich, von wem die Rede ist, oder?
    Maione schloss die Augen. Er. Der Mörder. Er war tot, der Kreis hatte sich geschlossen. Kaum hörte er Massa, der bereits weitersprach, noch zu.
    – Sie haben mich sofort gerufen, denn sie wussten, dass der
Zustand des Mannes, alles, was er tat oder was ihm passierte, mir mitgeteilt werden sollte. Jeder einzelne Tag, den er absaß, war wie Balsam auf meiner Seele. Jeder gottverdammte Tag.
    Massas Stimme war nur noch ein Flüstern und zitterte vor Hass. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst, starrte ins Leere. Maione spürte einen Stich im Herzen, als ihm klarwurde, wie sehr sein Freund in diesen Jahren gelitten haben musste. Er selbst hatte Trost in seinen anderen Kindern und Lucia finden können, Franco nicht.
    – Ich bin sofort hingegangen, wie du dir vorstellen kannst. Hab' mich ins Zimmer gestellt, nicht weit vom Bett entfernt. Seinen Todeskampf wollte ich sehen, Minute für Minute. Die Wunde war groß, ein Stiefeltritt an die Schläfe, keiner hat damit gerechnet, dass er aufwachen würde. Aber er ist aufgewacht.
    Maione riss die Augen auf: Was in aller Welt war passiert?
    – Er ist aufgewacht und hat nach einem Priester verlangt. Dieser Schuft, dieser gewissenlose Mörder wollte sich im letzten Moment in Sicherheit bringen, ein bisschen herumjammern und Gottes Segen bekommen. Er konnte nichts mehr sehen. Da hab' ich einen Stuhl genommen, ihn an sein Bett gestellt und den Priester gespielt. Ich hab' mich als Priester ausgegeben, Raffaele. Als Priester.
    Er wiederholte die Worte vor allem für sich selbst. Maione schüttelte den Kopf, er kämpfte mit den Tränen.
    – Ach Franco. Mein armer Freund.
    – Ich hab' keine Angst, glaub mir. Ich hab' schon zu viel gesehen, mit meinen eigenen Augen, um Angst vor dem Jenseits zu haben. Ich wollte es aus seinem Mund hören, was er getan hatte. Also hab' ich ein paar Worte in erfundenem Latein genuschelt, und der Dummkopf ist drauf reingefallen und hat an
gefangen zu

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