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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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und womöglich noch andere Leute auf dem Gewissen hat.
    Massa nickte.
    – Das hat mich auch bestürzt. Aber ich hab' nichts gesagt, hab' mit offenem Mund geschwiegen, bis das Schwein tot war.
    Maione starrte ins Leere.
    – Ich kann's nicht glauben.
    – Es ist aber so. Deshalb bin ich hergekommen, obwohl mir klar war, dass ich dir die Feiertage verderbe. Aber so können wir diese Geschichte endlich zu Ende bringen und für Gerechtigkeit sorgen.
    Maione schaute ihn an.
    – Was meinst du damit?
    Jetzt war es an Massa, über den Tisch zu greifen, um Maiones Hand zu nehmen.
    – Verstehst du nicht? Es ist doch ganz einfach. Wir müssen diesen Biagio finden und ihn töten wie einen Hund, wie er's mit Luca gemacht hat. Ich hätte es schon getan, aber ich war bloß sein Taufpate. Du bist sein Vater, das Recht steht dir zu. Wenn du dich nicht dazu in der Lage fühlst, versteh ich's, dann sag's mir, und ich tu's. Ich warte schon lange darauf.
    Maione fühlte sich wie betrunken.
    – Das würdest du wirklich tun?
    Massa lachte bitter.
    – Raffaele, in den letzten dreieinhalb Jahren gab's keinen einzigen Tag, an dem ich nicht an Luca gedacht habe. Ich hatte nie Kinder und hab' auch keine gebraucht: Der Junge war mein Leben. Ich erinnere mich an ihn als Neugeborenes, als Kind, als Jugendlichen und als Mann. Wir haben uns ohne Worte verstanden, ich liebte ihn über alles. Dieser Bastard hat mir das Einzige genommen, das mir im Leben wirklich etwas bedeutet hat. All diese Jahre über, als ich noch glaubte, der Bruder war's, hab' ich jeden Moment darauf geachtet, dass er so einsaß, wie er's sollte, und ich hätte bis ans Ende meiner Tage darauf aufgepasst, dass er seine Strafe abbüßt. Du warst es, der ihn in den Knast geschickt hat, ich hätte ihn Stück für Stück auseinandergerissen, damals in diesem Keller. Du weißt, was das Gesetz sagt: Es können nicht verschiedene Personen für dasselbe Verbrechen belangt werden. Und außerdem: Wie sollten wir's beweisen? Durch meine Zeugenaussage, nachdem ich mich als Priester ausgegeben hab'? Ich, der Pate des Opfers?
    Maione musste zugeben, dass sein Freund recht hatte. Der Mörder würde ungeschoren davonkommen. Er konnte aber nicht zulassen, dass Massa sich das Leben ruinierte. Wenn es schon jemand tun muss, dachte er, muss ich derjenige sein. Ich, der den Falschen eingelocht hat.
    – Überlass mir die Sache, Franco. Lass mich ihn finden, ihm ins Gesicht schauen. Wenn ich's nicht schaffe, sag' ich dir Bescheid.
    Massa sah ihn forschend an. Er wirkte entschlossen.
    – Raffaele, du weißt ja: Luca soll in Frieden ruhen. Und er kann keinen Frieden finden, wenn sein Mörder ungestraft bleibt.
    Maione stand auf:
    – Ich weiß, Franco. Und verzeih, dass ich nach all der Zeit meinen Schmerz vergessen hatte. Ich danke dir für das, was du getan hast.
    Massa trank sein letztes Glas aus und stand ebenfalls auf.
    – Nein, ich muss dir danken, für Luca und die Erinnerung an ihn. Er war das einzig Schöne in meinem Leben. Lass von dir hören, Raffaele. Gib mir Bescheid.
    So ging jeder der beiden seines Weges, grußlos und ohne gute Wünsche.
    Sie wussten, dass es kein frohes Weihnachtsfest werden konnte.

XX
    Der Sonntag vor Weihnachten ist ziemlich sonderbar.
    Er ist ein bisschen wie ein gewöhnlicher Sonntag, weil die Glocken schon frühmorgens läuten, weil Feiertagsstimmung
in der Luft liegt und die Leute in den Tag hinein leben, scheinbar ohne Verpflichtungen. Weil viele Läden geschlossen bleiben und mancher reiche Kaufmann sich eine Stunde mehr Schlaf gönnt. Weil die Mädchen heimliche Verabredungen im Kopf haben, wenn ihre Eltern sie losschicken, um eine Besorgung zu machen, die sie aus Faulheit nicht selbst erledigen möchten.
    Aber es ist nicht bloß ein gewöhnlicher Sonntag.
    Er ist auch ein bisschen wie ein Feiertag, weil die Bettler die Kirchen umschwärmen, um die Frömmler mit ihrem Elend zu konfrontieren und ein, zwei Münzen abzustauben. Weil die Villa Nazionale voller Ballon- und Gebäckverkäufer sein wird, mit Fäustlingen an den Händen und Wollfetzen ums Gesicht zum Schutz vor dem eiskalten Wind; sie werden die Kinder mit ihrer Ware anlocken, sie durch ihr Aussehen aber erschrecken. Weil der Wind den Duft von Karamellmandeln, gerösteten Kastanien, gerillten Artischocken und frittierten Pizzen überallhin trägt, sodass allen das Wasser im Mund zusammenläuft und die Mägen zu grummeln beginnen.
    Aber es ist auch nicht bloß ein Feiertag.
    Er ist auch ein

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